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Die Sinnlichkeit der Aubergine

■ Drei Generationen der Fotografen-Familie Weston im Fotoforum Böttcherstraße

Ein Familientreffen: Kaffee und Kuchen auf weißer Tischdecke am Nachmittag, Sekt am Abend, lautes Plauschgemurmel, lange nicht gesehen alle, wann kriegt man sie schon zusammen, drei Generationen, sogar die zerstrittenen Brüder der mittleren Generation und Opa, der seit 1958 schon tot ist, echt ein kleines Fest. Aber normal ist das trotzdem nicht: Die Plauderer gehören alle nicht zur Familie, die nämlich nur in Form ihrer Objektivierungen erschienen ist, als Fotokunst sich an die Wand hat hängen lassen.

Eine große und groß gefeierte Familienausstellung über drei Generationen zustande zu bekommen, das ist schon was. Die Kunsthalle Tübingen hat die Familienausstellung zusammengestellt, die nun, erweitert um fünf halbabstrakte Sandlandschaften des verstoßenen Bruders Brett, die Wände des Fotoforums in der Böttcherstraße ziert. Eine Ausstellung, in der die Freudologen und Abnabelungstheoretiker reichlich Stoff finden werden.

Edward Weston, der Opa und Stammvater der Fotografen-Dy

nastie, einer der ganz Großen (und Teuren) der Fotogeschichte, arbeitete als Formenforscher. Ob er in der freien Natur stundenlang auf das gewünschte Licht, das die Schatten in den gewünschten Winkel wirft, wartete oder im Studio ein Kohlblatt auf dem Sucher seiner Kamera ausbreitete oder seine frühere Geliebte und Kollegin Tina Modotti in den Sand legte, er war dem Spiel von Licht und Schatten, von Schwarz und Weiß auf der Spur und das mit erbarmungsloser Präzision. So kommt es, daß in seinen Bildern Paprikaschoten „auf eine Weise sinnlich sind, wie es seine weiblichen Akte kaum sind“ (Susan Sontag). So kommt es, daß eine menschliche Landschaft in die selben Linien zerfällt wie ein Gesteinsbrocken, wie eine Bergsilhouette, wie eine Zypressenwurzel.

An der Forschung weitergearbeitet hat Brett, des Nachlaßverwalters Cole ungeliebter Bruder,

nach Edwards Urteil aber der begabtere Fotograf unter seinen Söhnen. Weitergearbeitet hat er auch an Westons Methode, an der zurückzieherischen Verschlossenheit, an der Genügsamkeit, die einem echten Formenforscher zu eigen sein muß. Seine Landschaften lösen sich noch ein Stück weiter auf als die des Vaters, treiben die Abstraktion des Natürlichen auf jene schwarzweiße Spitze, von der kein Weg mehr weiter führt.

Was ihm Cole, der quirlige Weston-Promoter, Bruder und Brett-Lieber-Außen-Vor-Lasser, auch vorwirft. Wenn Cole neben seiner posthumen Laborarbeit für den Vater Zeit für eigene Blicke findet, fotografiert er hübsch dekorative Ansichten der kalifornischen Landschaft, bunt, um sich vom übermächtigen Papa abzusetzen, ausgewogen und glatt.

Der vierte im Bunde der Familienausstellung, Kim, als Enkel (Edwards), Sohn (Coles) und Ex

Laborgehilfe (Bretts) dem Schaffen seiner Vorfahren eng verbunden, ist dazu übergegangen, seine Fotos voll zu inszenieren. Ihm geht es nicht mehr um die Abstraktion natürlicher Form, er erfindet surreale Dekors, Alptraumlandschaften aus Pappmache und Entsetzen, ikonographische Bilderfolgen.

Vielleicht ist es nur die späte Nachwirkung des arbeitssüchtigen berühmten Großpapas, Edward Weston, der seinen Söhnen die Kamera unter den Wickeltisch legte. Jedenfalls kommunizieren die Bilder der Westons miteinander, führen ein stilles Gespräch, und wenn sie alleine und unbeobachtet sind, dann werden die Bilder der beiden zerstrittenen Brüder sicherlich übereinander herfallen, sich die Haare raufen und erbittert auf die Nasen schlagen und vielleicht hinterher sich wieder vertragen.

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Bis 11.10. im Fotoforum Böttcherstr.

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