piwik no script img

Was zu beweisen war

■ Ein Buch von Prostituierten über Prostituierte

Tanzende Lichter im Schatten: Schon der Buchtitel klingt nach schlechter Lyrik und ist außerdem falsch. Lichter können meines Wissens nicht im Schatten sein, und wenn doch, dann ist es kein Schatten mehr.

Prostituierte schreiben, ungeschminkt. Ein auf diese Weise angekündigtes Buch spekuliert natürlich auf meine voyeuristischen Gelüste. Eine Spekulation, die noch zusätzlich genährt wird von der Tatsache, daß die meisten Autorinnen nur mit Vornamen zeichnen. Ich hoffe auf erotischen Kitzel, auf endlich einmal Unverklemmtes über den Sex, auf die Wahrheit über den Rotlicht-Bezirk, ohne den Beigeschmack von Sozialkitsch. Und, vor allem, auf die nüchterne Diagnose der lüsternen Männlichkeit, aufgeschrieben von denen, die es wissen müssen.

Aber der vorliegende Band versammelt vor allem eines: schlechte Texte. Gedichte von der bekennenden oder der betroffenen Art: „Faß mich an / Spürst Du mich / Kennst Du meinen Körper / Ich lebe vom Anfassen / und vom Geld“, die bestenfalls beweisen, daß nicht nur anerkannte Lyriker, sondern auch Prostituierte billige Verse produzieren. Pornographische Notizen, zum Beispiel von den Autonomen Huren, die drastisch sein wollen („unvermittelt stieß er sein Sigurdschwert mit Naturgewalt in meinen lüsternen Fjord“), aber vor allem gewollt sind. In den autobiographischen und Reportage-Texten erfahren wir vor allem, was wir schon wissen: daß Huren geächtet sind, wie herrlich solidarisch sie sich zueinander verhalten, daß es Spießbürgerinnen gibt unter ihnen, Punks und Flippies, alleinstehende Mütter, Feministinnen, verkaufte Mädchen, Drogensüchtige, Hausfrauen, kaputte Existenzen und fröhliche, schräge Vögel. Mit anderen Worten: Frauen wie du und ich. Für die einen ist Auf-den-Strich-gehen harte Arbeit, den anderen ist ihre Biographie eine einzige Horrorstory, die einen machen's für Geld und ekeln sich, den andern macht's Spaß: ein Job also wie jeder andere.

Das Ärgerliche an diesem Buch ist, daß es ausschließlich Beweise dafür versammeln will. Für die Texte, ob sie was taugen oder nicht, interessiert es sich nicht. Und das, obwohl ein Großteil der Erzählungen, Gedichte und Protokolle keine Originalbeiträge sind, sondern hier nur nachgedruckt werden. Aber ausgewählt wurde anscheinend nicht, was das Lesen lohnt, sondern weil's von Prostituierten geschrieben ist. Ein Buch mit Behindertenbonus: So denunziert es gerade die, zu deren Ehrenrettung es antritt.

Zwei Texte haben mir gefallen. Malees Bericht aus Indochina über den Zusammenhang zwischen Vietnamkrieg und dem Tropicana-Massentourismus danach, über Männergemetzel und Mädchenhandel und die Veränderung der Kundenstruktur in Friedenszeiten bei gleichbleibender Begeisterung der Amerikaner für die Schamhügelchen der Thai-Frauen. Auch das ein Text, der bereits 1984 erschienen ist. Der zweite, Mireilles trockenes Bekenntnis Ich bin die Beste (1982 in Zürich veröffentlicht), liest sich wie ein sachlich formulierter Lebenslauf für eine Stellenbewerbung, eine befremdliche Mischung aus unbeholfenem Schulaufsatz und raffiniertem Understatement: „Ich war noch nicht ganz achtzehn, als ich meinen ersten Salon besaß. Mit 21 Jahren habe ich mir eine große Jugendstil-Villa gekauft.“ Einer der wenigen Texte übrigens, in dem, ohne schlechtes Gewissen, vom Geld die Rede ist. „Ich verkaufe nicht mich, sondern meine Leistungen als Erzieherin und Herrin. Diese Tätigkeit ist hygienisch und abwechslungsreich. Sie verlangt sehr viel psychische und physische Kraft.“ Ihr Job - ein Traumberuf, ihre Tätigkeit - eine Kunst. Ich glaube ihr kein Wort, aber die Selbstverständlichkeit, mit der sie schreibt, hat mich überzeugt.

chp

Tanzende Lichter im Schatten: Prostituierte schreiben. Ein Lesebuch, hrsg. von Galaberte und A. Jesse, Edition Isele, Eggingen 1989, 218 Seiten, 24 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen