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D WIE DOPPEL(GÄNGER)NATUR

■ „Das Double“ von Ernst-Jürgen Dreyer im Krolltheater

Angesichts des gegenwärtig stattfindenden Massenexodus aus der DDR und der staatlich sanktionierten innerdeutschen Menschenverschiebung wirkt so ein einzelner, historischer Fall unlauteren Menschenaustausches, wie er 1964 von einem DDR-Republikflüchtling begangen wurde, rührend heldenhaft und von einer uns nicht mehr geläufigen Art von Gefühlsverpflichtung getragen: Peter Selle, der nach Errichtung der Mauer seine Frau dazu bringen möchte, mit ihm den gerade noch nicht verminten Grenzstreifen zu überschreiten und den Grenzfluß zu durchschwimmen, gelingt die Flucht in die Bundesrepublik aufgrund des plötzlichen Zögerns seiner Frau nur alleine. Um sie dennoch nachzuholen, hält er nach einer westdeutschen Doppelgängerin Ausschau, deren Paßfoto seiner Frau erlauben wird, an der Grenze als Westtouristen durchzugehen.

Und hier setzt das Theaterstück ein: Er und die Gefundene namens Anna sind in Berlin in einem Hotelzimmer angekommen, wo sie, in Unkenntnis seiner wahren Absichten, ihn mit allen denkbaren Tricks auf die Rolle des Liebhabers festzulegen versucht. Da er indes nur darauf bedacht ist, sein Geheimnis zu hüten und keinerlei Gefühlskomplikationen heraufzubeschwören, schlägt er für den Abend vor der gemeinsamen Fahrt nach Ost-Berlin Kinobesuch oder Kudammbummel vor. Anna, deren Verführungsversuche alle abschlägig beschieden werden, steht rätselratend und immer ungehaltener vor diesem Ost-Fremdling und seinen „Eiertanzsätzen“ über irgendwelche „fehlgeschlagenen Planspiele in Bulgarien und Prag“ und seinen gelegentlichen Anspielungen auf Verwechslung, Typenhaftigkeit und Verbrechen. Aufforderungen, ins Bett zu kommen, beantwortet er mit Erinnerungen an ein „Kanalbett“, bei „Aufreißen“ fallen ihm verbissen ostborniert nur Türen ein. Selbst ihr schwarzes Dessous verleitet ihn nur zu diffusen Plädoyers an ihr Vertrauen und im besten Fall zu dem Kompliment „ich brauche dich„; zu guter Letzt schläft er einfach hinweg.

Und wie als Traumvision ist nun die Parallelhandlung mit seiner Frau Dorle im Ostteil der Stadt eingeblendet: Er rekapituliert die gescheiterte Flucht, trifft mit ihr eine Verabredung für morgen am „besagten“ Schaufenster. Die beiden Handlungsstränge verknüpfen sich in schnellen Schnitten und Stimmungswechseln immer enger, bis schließlich der Umschlag geschieht: Der Trick hat geklappt, Dorle von drüben betritt mit ihm dasselbe Hotelzimmer, in dem er mit Anna den Abend zugebracht hat, während Anna im Ost-Berliner Cafe jetzt vergeblich auf seine Rückkehr wartet. Die Szenen wiederholen sich mit umgekehrtem Vorzeichen: Er begehrt jetzt Dorle, die lang entbehrte Frau, die sich nun ihrerseits verweigert, weil sie anhand der von Anna zurückgelassenen Kleidungsstücke den Betrug durchschaut. Und noch bevor sich das Stück nach der historischen Vorlage festfahren muß in Gefängnisaufenthalt von Anna, Zerknirschung Dorles und Beschwichtigungsversuche von ihm, wird Dorle in dichterischer Freiheit wieder zu Anna, der Bereitwilligen; die Spaltung ist plötzlich aufgehoben, die nurmehr eine, so daß er sie jetzt lieben kann mit den Worten: „Es gibt doch nicht nur Typen, es gibt doch dich und mich.“ Märchenhaft mündet die deutsch-deutsche Spaltung ins Happy End.

Das schadet dem Stück indes nicht. Der von der Münchener Regisseurin Amelie Niermeyer inszenierte Einakter „Das Double“ des Autors Ernst-Jürgen Dreyer lebt bei sparsamen Mitteln von solcher Detailgenauigkeit, angefangen vom Zweitagebart und dem schnoddrigen Berliner Ton des Schauspielers Michael von Au, der östliche Bedächtigkeit und eingewestete „Partnerverdächtigkeit“ wunderbar selbstverständlich in sich vereint, bis hin zur Doppelrollenkür der Schauspielerin Antje Schmidt, die vielgesichtig zwischen Pin-up-Gehabe und DDR-Betroffenheit hin und her springt und einen so spannungsreichen und witzigen Wechsel von fahrigem West-Erlebnishunger und Ost -Intimität offeriert, daß man sich gerne auf dieses Spiel deutscher Verdoppelung einläßt, denn so „erleben wir doch wenigstens mal was. Haben doch nichts zu erzählen im Westen.“

Michaela Ott

Noch bis 31.August, jeden Abend, 21Uhr, Krolltheater, Grolmannstr.47.

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