: Schwarzer Peter
Zum Streit um das Wohnungsbauprogramm ■ K O M M E N T A R
Des Bausenators Künste als Kulissenschieber waren von jeher über allen Zweifel erhaben. Doch seine ultimative Rolle hat der begabte Wahlkampfagitator erst jetzt gefunden: Nagel profiliert sich als der Möllemann der rot-grünen Stadtregierung. Läßt der Senator seinen Arbeitstag bei einem Besuch im Zoo „ausklingen“, darf die Presse dieses baupolitisch bedeutsame Ereignis keinesfalls versäumen; ist eine Fußgängerbrücke vom Einsturz bedroht, lädt Nagel die Öffentlichkeit ein, vor Ort am Entscheidungsprozeß teilzuhaben, wie das Geländer repariert werden soll. Fällt dem Senator rein gar nichts mehr ein, hängt er sich - das muß man vermuten - ans Telefon und ruft die Nachrichtenagenturen durch, seine Worte zu verkünden. So zuletzt geschehen am Freitag, als Nagel per Agentur eine Aufstockung des Wohnungsbauprogramms verlangte. Rhetorisch fragt der Senator, ob „wir“ es uns noch leisten könnten, Freiflächen „unter ökologischen Gesichtspunkten“ freizuhalten. Im Klartext: Kleingärten und die letzten Felder der Stadt sollen unter den Hammer.
Eigentlich ist das kein Grund zur Aufregung. Würde man politische Forderungen nach dem Grad ihrer Irrealität klassifizieren, wäre den 10.000 Wohnungen ein Spitzenplatz auf der nach oben offenen Humbug-Skala sicher. Nagel kann gottfroh sein, wenn er es im Jahr auf 7.000 Wohnungen bringt - und selbst das erreicht er vermutlich nur dann, wenn er die Schleusen für den teuren, dritten Förderungsweg öffnet. Die Wohnungen, die dann gebaut würden, können freilich diejenigen, die unter der Wohnungsnot leiden, nicht bezahlen - ganz zu schweigen von der Frage, wie der Senat ein aufgestocktes Wohnbauprogramm finanzieren will.
Aber PR-Profi Nagel weiß natürlich, daß bei Werbesprüchen nicht der Inhalt zählt, sondern die Wirkung. Die ist hier klar: Ökologische Argumente sollen in die Defensive gedrängt werden, um den Betonmischern die Arbeit zu erleichtern. Die Wohnungsnot wird der rot-grüne Senat trotzdem nicht beheben können. Das pfeifen die Spatzen von den Dachgeschossen. Deshalb spielt der Bausenator jetzt schon Schwarzer Peter: Er wollte ja mehr bauen, wird Nagel eines Tages sagen, bloß hätten ihm bornierte Bezirkspolitiker und die AL fortwährend Knüppel zwischen die Beine geworfen.
Hans-Martin Tillack
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