Als Friedensfrau auf einsamem Posten

In der kleinen israelischen Friedensbewegung engagieren sich deutlich mehr Frauen als Männer / Es zählt vor allem die praktische, organisatorische Arbeit / Frauen ziehen die Verbindung zwischen ihrer eigenen Diskriminierung und der Unterdrückung der AraberInnen  ■  Von Amos Wollin

Jael Renan, Dozentin für Literatur an der Universität Tel Aviv, ist genauso alt wie der Staat Israel. Seit dem Beginn der Intifada hat sie ihre akademische Arbeit vernachlässigt. „Unter den vorherrschenden Umständen hatte ich einfach das Gefühl, daß meine Aufgabe 'hier und jetzt‘ nur darin besteht, den palästinensischen Opfern in den besetzten Gebieten beizustehen“, sagt sie. Sie begann Bücher, Medikamente, Kleider und andere Dinge für die palästinensischen Gefangenen zu sammeln und kümmerte sich vor allem um die Inhaftierten des Wüstenlagers „Ansar 3“. Leute, die ohne Gerichtsverfahren bzw. auf ein Verfahren wartend oft viele Monate lang von der übrigen Welt isoliert und von Militärpolizei bewacht in überfüllten Zelten hausen. Im Sommer bei Hitze, im Winter bei eisiger Kälte. Besuche sind verboten. So gibt Jael Renan ihre gesammelten Gaben bei der Militärverwaltung für die Häftlinge in Ansar ab. „Woher die Bücher kommen, wissen die Gefangenen nicht. Ein Häftling, der vor kurzer Zeit entlassen wurde, erzählte mir, daß man allgemein annimmt, 'Peace Now‘ sei die Quelle. Das kümmert mich nicht.“

Jael Renan gehört zu keiner der vielen Protest- und Friedensgruppen, die es seit der Intifada in Israel gibt. „Ich bin nicht an Organisationen interessiert, sondern an Aktionen, - an tätiger Intervention“, erklärt sie. Sie versucht, die israelische Öffentlichkeit, die möglichst wenig über Vorgänge in den besetzten Gebieten wissen will, mit der palästinensischen Sicht und Wirklichkeit bekannt zu machen. Mit Mut und Energie veranstaltete sie einen Abend in einem Tel Aviver Theater, der Augenzeugenberichten palästinensischer Gefangener gewidmet war. „In unserer sehr konformistischen Gesellschaft fürchten Berufstätige gesellschaftliche Ächtung, wenn sie Arabern helfen.“ Das gilt als „unpatriotisch“, so etwas „tut man nicht“. Dann ist man eben auch zu beschäftigt mit Karriere und Geldverdienen und Familie: Man hat weder Zeit noch Kraft oder Lust an öffentlicher Arbeit. Die Männer, die ein bis zwei Monate lang im Jahr militärischen Reservedienst leisten, glauben sowieso, mehr als genug für die Öffentlichkeit getan zu haben. Und Reservedienst bedeutet heute sehr oft Beteiligung an der Unterdrückung in den besetzten Gebieten.

Kontakt zu den Häftlingen

Zusätzlich ist Jael Renan in der Frauenorganisation für politische Gefangene tätig. Diese Frauenorganisation will die Lage der gefangenen palästinensischen Frauen überprüfen, den Kontakt zwischen den politischen Häftlingen und Rechtsanwälten herstellen und Forderungen der weiblichen Gefangenen durchsetzen. Für die Frauenorganisation gelten alle inhaftierten palästinensischen Frauen als aus Gewissensgründen eingekerkerte Personen, die wegen ihres berechtigten Widerstandskampfes gegen die Besatzung ins Gefängnis kamen. Jael Renan: „Ich halte es für wenig sinnvol z.B. Unterschriftenkampagnen durchzuführen und allgemeine Forderungen an die Regierung zu stellen. Wenn wir Israeli das tun, macht das kaum einen Eindruck auf die Führer. Ich selbst war einmal dabei, als eine von vielen unterschriebene Petition an Verteidigungsminister Rabin gleich in den Papierkorb wanderte.“

Was für sie wirklich zählt, ist, was sie selbst tut. „Meine Tätigkeit hilft mir, wenigstens meine Beschämung angesichts der Flut von Unmenschlichkeit, die wir hervorbringen, zu überwinden“.

Die Frauenorganisation für politische Gefangene hat derzeit 30 Mitglieder. Eine ähnliche Organisation, die sich der palästinensischen männlichen Gefangenen annimmt, gibt es in Israel nicht.

Weshalb gibt es in Israel mehr Frauen als Männer, die sich in der Antiokkupationsbewegung engagieren? „Frauen müssen keinen Reservedienst bei der Armee leisten und sind dadurch weniger 'belastet‘. Die den Reservedienst tun, haben oft Konflikte mit ihrem Gewissen oder mit ihren Vorgesetzten, mit Kollegen in der Armee, mit der inneren Stimme, die vielleicht dem esprit de corps widerspricht. Wenn die Männer nach Hause kommen, wollen sie 'davon‘ nichts mehr wissen.“ Aber Jael Renan ist auch der Meinung, daß Frauen im allgemeinen gewöhnt sind, mehr praktische, organisatorische Arbeit zu leisten, „während Männer eher das große Wort führen“ und weniger die „kleinen“ und „anonymen“ Aufgaben auf sich nehmen.

An Jael Renans Arbeit ist nichts, was ihr Ruhm bringen könnte. In dieser militärisch organisierten Gesellschaft, in der „Sicherheit“ der höchste Wert ist und alles übrige weit dahinter eingestuft wird, gibt es Heldentum lediglich im Zusammenhang mit Heer und Krieg. In einer militaristischen Gesellschaft, in der der Einfluß des jüdischen Fundamentalismus stärker wird, wird auch die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau bekämpft.

Wertlos und abgeschrieben

Die Redakteurin des feministischen Magazins 'Noga‘, die Architektin Rachel Ostrowitz, findet es überhaupt nicht erstaunlich, daß Frauen so leicht die Verbindung zwischen Frieden und ihrer eigenen Existenz herstellen. „So wie unsere Unterdrückung als Frau nicht mehr akzeptabel ist, so können wir auch die Unterdrückung anderer nicht dulden. Wenn wir täglich von namenlosen, getöteten Palästinensern lesen, erinnern wir uns daran, daß auch Frauen oft als Personen ohne Namen gehandelt werden. Man sagt 'Frauen sind alle gleich‘, so wie man hier sagt: 'Araber, Palästinenser sind alle gleich‘ - und meint, sie sind wertlos, abschreibbar. Die krankhafte Vorstellung von der großartigen Bedeutung des Bodens, der von größerer Wichtigkeit ist als menschliches Leben, erinnert uns an ähnlich auf den Kopf gestellte Prioritäten. Zum Beispiel die von der Vormacht der Waffen oder sonstiger militärischer Ausrüstung, welche die Forderung nach gleichem Arbeitslohn für Frauen oder nach einer besseren Erziehung für die kommenden Generationen gänzlich in den Schatten stellt und deplaziert erscheinen läßt.“

Unter den Frauenorganisationen in Israel spielen auch die „Frauen in Schwarz“ eine wichtige Rolle. Sie machen regelmäßig Minidemos in den größeren Städten Israels gegen Okkupation und Unterdrückung, „damit die Bevölkerung an die Wirklichkeit erinnert wird“. Neuerdings gibt es „Schani“: die „israelischen Frauen gegen die Okkupation“. Eine der Gründerinnen von Schani, Judy Blanc in Jerusalem, meint: „Frauen haben mehr Ausdrucksfreiheit als viele Männer. Sie können ihre Gefühle, Energien und Entschlüsse leichter in Taten umsetzen.“

Innerhalb der Frauenbewegung hat es jedoch auch Kritik an dem „Friedenslager der Frauen“ gegeben. Wenigstens teilweise gilt diese Kritik auch für die gesamte Protest- und Friedensbewegung in Israel. Beispielsweise wirft die Politologin Prof. Nomi Chazan den Frauengruppen vor, sie seien zu fragmentiert und ohne einheitliche politische Strategie. Allgemein ist festzustellen, daß aus den vielen kleinen Protestgruppen der letzten Jahre keine wirklich einflußreiche politische Bewegung entstanden ist - mit dem Potential, die Wirklichkeit zu verändern. Einzelne AktivistInnen zeigen außergewöhnliche Ausdauer, Hingabe und Mut. Aber eine große Organisation mit Einfluß auf die Regierungspolitik steht noch aus.