: „Das Widerstandspotential einer Generation wird physisch vernichtet“
In Sri Lanka tobt ein brutaler Bürgerkrieg / Ein Gespräch über die Hintergründe der Auseinandersetzung mit einem vor wenigen Tagen zurückgekehrten Entwicklungshelfer ■ I N T E R V I E W
Täglich erreichen uns die immer gleichlautenden kurzen Meldungen der Nachrichtenagenturen: Blutbad auf Sri Lanka. Täglich ändern sich nur die Zahlenangaben. dpa von gestern: „Mindestens 60 Tote bei Unruhen auf Sri Lanka.“ Unter den Toten war auch der Bürgerrechtsanwalt Kanschana Abeypala, der sich hauptsächlich um Personen gekümmert hatte, die von der Armee festgenommen wurden.
Den Bürgerkrieg führen zur Zeit hauptsächlich die singhalesische Guerilllaorganisation JVP und die Armee. Gegenseitige Taktik ist auch, Familienangehörige gezielt umzubringen. Zugleich sind einschneidende Streiks im Gange. Tausende sind in den letzten Monaten dem Terror von beiden Seiten zum Opfer gefallen.
Mit dem vor wenigen Tagen aus Sri Lanka zurückgekehrten Mitarbeiter der „Gesellschaft für technische Zusammenarbeit“ (GTZ) Michael Buchmann sprach taz-Redakteurin Simone Lenz.
taz: Die GTZ hat einen Teil ihrer Mitarbeiter letzte Woche aus Sicherheitsgründen aus Sri Lanka abgezogen. Fühlten Sie sich von der Eskalation der Gewalt bedroht?
Michael Buchmann: Keiner von uns hatte das Gefühl, persönlich bedroht zu sein. Ausländer waren keine Zielscheibe des Terrors. Dennoch mußten wir mit einem erhöhten Risiko rechnen. In den letzten Wochen gab es täglich Morde von verschiedenen Seiten. Bombenanschläge, Landminen, immerhin mehrfach pro Woche, auch in der Hauptstadt. Ende Juli war von verschiedenen Seiten von tausend Toten in der Zentralregion innerhalb weniger Tage die Rede. Bis vor einem halben Jahr waren die Kämpfe der JVP mehr auf den Süden konzentriert. In den letzten Monaten war die Zentralregion eindeutig Zentrum der Kampfhandlungen.
In den letzten Wochen wurde immer wieder gemeldet, daß sich die JVP-Anschläge gegen Polizeistationen richteten.
Das trifft zu. Vor etwa vierzehn Tagen sind in der Hauptstadt in einer Nacht gleich vier Stationen überfallen worden, dabei auch die Station, in der sich ein Teil der Waffenreserve befand.
Andererseits mehren sich trotz Nachrichtensperre die Meldungen über Massaker und Racheakte von seiten der Regierungsschwadrone oder -milizen. Können Sie auch dies bestätigen?
Verschiedene Kräfte haben ihren eigenen Personenschutz aufgebaut. Dazu gibt es eine Reihe von Milizen. In den letzten Monaten hieß es, daß Sicherheitskräfte zum Teil in Zivil die „Dreckarbeit“ machten. Oft ist schwer zu sagen, auf wessen Konto die Tötungen gehen.
Wie reagiert die Zivilbevölkerung auf den massiven Druck von seiten der JVP, sich an den Streiks zu beteiligen?
Die meisten dieser Streiks sind zwar in Bereichen geführt worden, wo es Grund dazu gab. Aber: Wer sich Streikaufrufen widersetzte, riskierte unter Umständen, erschossen zu werden. Sobald zum Beispiel der Streik der Busfahrer im Juni und Juli zwei, drei Wochen überschritten hatte, ging es den beteiligten Familien - ohne Gehalt und ohne eine Streikkasse - wirklich schlecht. An diesem Punkt schieden sich die Geister zwischen jenen, die aus Überzeugung streikten, und jenen, die aus Angst weiter streikten.
Hatten die Menschen im letzten Jahr in die Regierung des neuen Präsidenten Premadarsa Hoffnung gesetzt?
Tatsächlich versprach Premadarsa, der ja kein Mann der klassischen Oberschicht ist, sich der Sorgen der Bevölkerung anzunehmen. Sein Armutsbekämpfungsprogramm, das Familien unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze einen gewissen Betrag in Sachgütern, im wesentlichen Lebensmittel, sowie ein persönliches Spar- und Investitionsprogramm garantieren sollte, hat einige bewogen, ihn zu wählen. In dem Maße, wie diese Versprechungen jedoch nicht erfüllt werden konnten, wächst nun wieder die Frage nach einem Regierungswechsel. In dem Gebiet, in dem wir arbeiteten, besitzen etwa 50 Prozent der Landbevölkerung kein eigenes Land, manche pachten, manche verdingen sich als Tagelöhner. Das Einkommensgefälle wird immer größer. Die politische Macht ist ungleich verteilt. Wenn aber eine soziale und politische Bewegung in dem Maße zur Gewalt greift, wie es die JVP getan hat, gräbt sie sich selbst das Wasser ab. Wie schon 1971, wird die JVP dafür mit zehntausenden und mehr Toten büßen. Ich fürchte, für eine Generation wird das Widerstandspotential gegen soziale und ökonomische Ungleichheiten einfach physisch vernichtet werden. Premadarsa hatte nach längjährigem Verbot kurz nach seiner Amtseinführung versucht die JVP, in die nationale Politik zu integrieren. In seinen Reden hat er immer wieder die Worte „Konsens“ und „Kooperation“ gebraucht. Das hat sich jedoch vor einigen Wochen geändert. Seither werden JVP-Mitglieder wieder systematisch verfolgt und liquidiert.
Von welchen Bevölkerungsteilen wurde die JVP denn noch getragen? Sie gilt zuweilen in den Medien immer noch als Studentenorganisation.
Studenten haben zwar einmal ihren starken Kern ausgemacht, aber die Bewegung wird vorwiegend von Arbeitslosen, Landarbeitern und Tagelöhnern getragen, zum Teil auch von Leuten aus dem öffentlichen Dienst. Sie haben auch die Masse der Streikenden ausgemacht. In den letzten Wochen ist aber ein Teil der Bevölkerung von der JVP abgerückt. Wenn man bedenkt, daß Sri Lanka etwa die Größe Bayerns, das singhalesische Gebiet etwa die Größe Bayerns ohne Franken hat, wenn man die Regierungspartei UNP hier mit der CSU vergleicht, wenn man sich also vorstellt, daß in einer solchen Partei innerhalb eines Jahres Tausende von Politikern und ihre Angehörigen ermordet wurden, gibt das eine Dimension von dem Blutbad, das die JVP angerichtet hat. Trotzdem hat dies bei der Opposition keine große Entrüstung ausgelöst. Während der von der JVP zum Teil erzwungenen Demonstrationen hat sich das jedoch gewandelt. Die JVP zog von Haustür zu Haustür und drohte jenen, die nicht mitziehen wollten, 'in der Nacht wiederzukommen‘. Und jeder weiß, was das bedeutet. Andererseits wußten die Leute, was es bedeutet, den sogenannten Sicherheitskräften auf seiten der Demonstranten zu begegnen. In einigen Fällen haben diese zwar nur in die Luft geschossen, in anderen aber gezielt auf die ersten Reihen der Demonstranten. Mit der JVP im Rücken und den Uniformierten vor ihnen haben diese Menschen Todesangst ausgestanden.
Gewalt als ein Mittel der Konfliktlösung scheint mir in Sri Lanka noch immer in viel zu großem Maße akzeptiert zu werden. Aber mit der Aussicht, selbst in den Tod getrieben zu werden, ist in der Bevölkerung ein deutlicher Stimmungsumschwung eingetreten.
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