piwik no script img

Schäubles Besen statt Zimmermanns Axt

■ Künftig sollen zentrale Asylschnellverfahren die Abschiebung beschleunigen / Von Vera Gaserow

Erprobt wird es schon seit Anfang des Jahres in Karlsruhe: das neue Asylverfahren - zentral und effizient. Keine unötige Aktenschieberei zwischen den Behörden mehr; Unterkunft, Anhörung und Entscheidung über die Asylanträge alles unter einem Dach. Verkürzung der langwierigen Verfahren, das klingt gut, sogar in den Ohren sonst kritischer Wohlfahrtsverbände und Kirchen. Doch der Bundesregierung geht es weniger um Humanisierung als um schnelle Abschiebung. Das zeigt die Auswahl der Nationalitäten von Flüchtlingen, die als erste die Vorzugsbehandlung der neuen Mammutbehörden erfahren sollen: Polen, Jugoslawen und Türken - die „aussichtslosen“ Asylbewerber. Und noch ein anderer Vorschlag kommt aus dem Hause Schäuble: Das fünfjährige Arbeitsverbot für Asylsuchende soll fallen, dann geht es schon nach drei Monaten an die Arbeit - natürlich nur als ErntehelferIn, KellnerIn, MaurerIn oder AltenpflegerIn, also in „Mangelberufen“, die für Arbeitssuchende mit grünem Paß nicht mehr attraktiv sind.

Als die Innenminister des Bundes und der Länder am 3.Juni zu ihrer Sondersitzung zusammenkamen, bot sich ein ungewohntes Bild: Zum wiederholten Male wurde über das leidige Thema Asyl diskutiert, doch anders als sonst waren sich dieses Mal alle einig. Sämtliche Bundesländer - egal ob sozialdemokratisch oder unionsregiert - stimmten einem Vorschlag aus dem Bonner Innenministerium zu.

Soviel parteiübergreifende Einigkeit hatte es bei dem Konfliktthema Asyl zuletzt vor drei Jahren gegeben, als Christdemokraten und SPD sich gleichermaßen selbst lobten, mit Honeckers Hilfe das Asylschlupfloch Berlin geschlossen zu haben.

Auch jetzt ist es kein neues Gesetz, das für die große Koalition in Sachen Asyl sorgt, sondern eine rein administrative Maßnahme - eine Maßnahme jedoch, die mit ihrem bestechenden Pragmatismus um so spürbarere Konsequenzen haben wird.

Die Zustimmung der Ministerrunde galt einem Vorschlag zur Verkürzung der Asylverfahren, den der frischgebackene Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgelegt hat. Zur Zeit laufen die konkreten Vorbereitungen dafür in den Bundesländern auf Hochtouren, und schon im Herbst soll das neue Konzept seine Wirkung zeigen. Kern des allseitig akzeptierten Schäuble-Plans: Vom 1.Oktober an sollen in jedem Bundesland - je nach Größe - ein bis drei zentrale Ausländerbehörden errichtet werden.

In einem Monat

ist alles vorbei

Die Mammutämter sollen nicht nur Auffanglager für neuankommende Flüchtlinge sein. Hier soll auch innerhalb von nur wenigen Wochen - in Niedersachsen spricht man von maximal einem Monat - das gesamte Asylverfahren abgewickelt werden. Während die gerade eingereisten Asylsuchenden - für Behörden und Nachfragen gut erreichbar - in den zentralen Lagern untergebracht sind, soll wenige Türen weiter eine Zweigstelle des Zirndorfer Bundesamts für Asylangelegenheiten die Asylanträge bearbeiten und entscheiden.

Die amtliche Befragung der Asylsuchenden nach ihren Fluchtgründen soll innerhalb weniger Tage nach der Ankunft erfolgen. Wird der Asylantrag dann abgelehnt, wie es derzeit bei über 90 Prozent der Antragsteller der Fall ist, soll auch die Abschiebung gleich vor Ort durch die zentrale Ausländerbehörde miterledigt werden.

Gelten soll dieses Asylverfahren im Zeitraffertempo zunächst nur für Flüchtlinge aus den drei wichtigsten Herkunftsländern Polen, Jugoslawien und Türkei. Ihre Asylanträge sollen - an der Warteschlange der anderen vorbei - in den neuen zentralen Ausländerbehörden sofort entschieden werden. In der Praxis wird die Entscheidung Ablehnung und Abschiebung heißen. Denn Flüchtlinge aus diesen drei Staaten gehören zu denen, die derzeit so gut wie keine Chancen auf Anerkennung als politisch Verfolgte haben

-zumindest bei Asylbewerbern aus Jugoslawien und der Türkei zu Unrecht, wie amnesty international feststellt.

Kostensparend - aber

auch human?

Ein bestechender Vorschlag, so befand parteiübergreifend die Ministerrunde: alles unter einem Dach, keine zeitraubenden Behördenwege, keine Monate mehr, in denen die Asylanträge zwischen der Ausländerbehörde in Cloppenburg oder Pfaffenhofen und dem Bundesamt in Zirndorf hin- und herirrten. Und kurzer Prozeß mit jenen, die ohnehin als „aussichtlose Kandidaten“ gelten.

Eine nicht nur kostensparende, sondern auch humane Lösung, meinten die Minister, denn es sei allemal menschlicher, die unvermeidlichen Abschiebungen vorzunehmen, bevor die Flüchtlinge in der Bundesrepublik soziale Kontakte geknüpft hätten.

In der Praxis jedoch, so berichten der Karlsruher Flüchtlingsrat und amnesty international, birgt dieser Vorschlag etliche Gefahren und ist alles andere als human. In Karlruhe wird dieses Schnellverfahren a la Schäuble nämlich schon seit Anfang dieses Jahres erprobt. Dort ist in einer Zentralen Ausländerstelle (Zast) seit Januar alles unter einem Dach vereinigt: zentrale Unterkunft für alle Neuankömmlinge, Anhörung im Asylverfahren, Entscheidung und schließlich die Abschiebung.

Kaum im fremden Land angekommen, werden die Flüchtlinge häufig schon nach einem Tag zur Anhörung über ihre Fluchtmotive zur Ausländerbehörde geschickt, berichtet der Flüchtlingsrat. Zugeschüttet mit Behördengängen und Formularen, können die Neuankömmlinge meist gar nicht durchschauen, wie zukunftsentscheidend der Termin bei der Ausländerbehörde ist, der sich zwischen Ausgabe der Essensmarken und medizinischer Untersuchung ein reiht.

Häufig versäumen die Asylsuchenden ohne eigenes Verschulden die Anhörung, was das Asylbundesamt dann als Verstoß gegen die „Mitwirkungspflicht“ beim Asylverfahren werten kann. Es entscheidet dann ohne Anhörung der Betroffenen nach Aktenlage, und meist steht dann das Urteil „offensichtlich unbegründet“ auf dem Aktendeckel. Zwischen der ersten Anhörung bei der Ausländerbehörde und einer Befragung durch die Asylentscheider liegen in Karlsruhe häufig nur wenige Tage, in denen die orts- und sprachunkundigen Flüchtlinge keine Chance haben, einen Rechtsanwalt oder eine Beratungsstelle zu Rate zu ziehen.

Warum juristische

Beratung nötig ist

Gerade solche Beratungsgespräche sind jedoch nach den Erfahrungen von amnesty international nötig, damit sich Flüchtlinge im Dschungel des deutschen Asylrechtsverfahrens zurechtfinden. „Politische Flüchtlinge“, so schreibt amnesty international in einer Stellungnahme zum Schäubleschen Schnellverfahren, „neigen in Unkenntnis des deutschen Asylrechts oft dazu, die allgemeinen politischen Verhältnisse in ihrem Herkunftsland zu schildern. Ihr persönliches Verfolgungsschicksal - und das ist für das Asylverfahren ausschlaggebend - vernachlässigen sie in ihren ersten Berichten oft.“

Fügen sie später die Berichte über ihre eigene Verfolgung hinzu, wird ihnen das als Widerspruch zu ihrer Aussage in der ersten Anhörung angekreidet. Nach den Erfahrungen von amnesty trauen sich außerdem viele Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft nicht, gegenüber Beamten und Dolmetschern aus ihrem Heimatland über ihre tatsächlichen politischen Verbindungen zu sprechen, die für das Asylverfahren entscheidend sein können. „Beratungsgespräche“, so resümiert amnesty nach den Erfahrungen mit dem Karlsruher Modell, „sind in der Kürze der Zeit kaum noch möglich.“

Noch bevor sie sich die Asylbewerber in ihrem Zufluchtsland orientieren können, haben sie eine Abschiebungsandrohung in der Hand, gegen die sich dann nur noch die Findigsten mit Hilfe eines Rechtsanwalts wehren können.

Und auch die Chancen, eine Abschiebung zu verhindern, werden nach dem Schäubleschen Modell geringer. Bisher gelang es Kirchengemeinden, Flüchtlingsgruppen oder Freunden manchmal noch, bei ihren örtlichen Ausländerbehörden gegen eine Abschiebung zu intervenieren. Auf menschliche Härten und soziale Bindungen hingewiesen, drückten die Behörden und Politiker vor Ort in Einzelfällen ein Auge zu. Wenn jedoch nun in den zentralen Ausländerbehörden über sämtliche Abschiebungen eines Bundeslandes entschieden wird, verschwinden die Einzelschicksale der Flüchtlinge hinter formalen Vorschriften und anonymisierten Abschiebeentscheidungen, warnt der Karlsruher Flüchtlingsrat.

Und noch eine Gefahr birgt das neue Konzept der zentralen Ausländerbehörden: Steht erst einmal die Infrastruktur in den einzelnen Bundesländern, könnten die Schnellverfahren nicht mehr auf die drei jetzt benannten Herkunftsländer beschränkt bleiben. Bayerns Innenminister Stoiber denkt schon jetzt laut darüber nach, daß außer den Polen, Jugoslawen und Türken auch Flüchtlinge aus Ghana und Indien zur Kategorie der aussichtslosen Asylbewerber zählten.

Sein niedersächsischer Amtskollege Stock hat schon die nächsten Anwärter für die Asylschnellverfahren geortet: Auch in Gambia, so befand der Minister jüngst, findet „eine politische Verfolgung nicht statt“.

Leichter als

eine Gesetzesänderung

Werden die Pläne Schäubles nun im Herbst in die Praxis umgesetzt, dann hat der Bundesinnenminister auf administrativem Weg in weiten Teilen das erreicht, was ein Gesetzentwurf des Bundesrats auf parlamentarischem Weg langwierig durchzusetzen versucht.

Der im April dieses Jahres vom Bundesrat verabschiedete Entwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes sieht unter anderem vor, daß Asylsuchende künftig verpflichtet werden, ihren Asylantrag innerhalb von zwei Wochen nach ihrer Ankunft zu stellen. Darüber hinaus sollen die Ausländerbehörden zu Entscheidungsinstanzen über Asylanträge werden.

Nach den Plänen des Bundesrats sollen sie künftig Asylanträge gar nicht mehr an das Asylbundesamt weiterleiten, wenn „offensichtlich ist, daß sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation oder einer kriegerischen Auseinandersetzung zu entgehen“, in der Bundesrepublik aufhält.

Diese Gesetzesänderung ging selbst der Bundesregierung zu weit. Der Vorschlag müsse wohl doch noch einer „vertieften verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Prüfung“ unterzogen werden, heißt es in der Stellungnahme der Bundesregierung. Der Gesetzentwurf schmort vorläufig in den Schubladen. Greift das Schäublesche Konzept zur Verkürzung der Asylverfahren nicht, kann man ihn dort wieder hervorziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen