: Rückgriff in bewährte Tradition
Zu den antisemitischen Äußerungen des polnischen Primas Glemp in Tschenstochau ■ K O M M E N T A R E
Die jüngsten Äußerungen des Primas Glemp während seiner Predigt in Tschenstochau zu den Juden und ihrer angeblichen Selbstüberhebung wie auch seine Philippika gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit einige Wochen zuvor sind ein Rückfall in überwunden geglaubte, aber tief verwurzelte Traditionen. Religiös fundierter Antisemitismus bestimmte auch nach dem Holocaust das Denken großer Teile der Hierarchie. Die Studentenbewegung des Jahres 1968 in Polen wurde vom damaligen Primas in Begriffen kritisiert, die nicht allzuweit von den antisemitisch-nationalistischen Tiraden des damaligen Innenministers Moczars entfernt waren.
Erst unter dem Einfluß des Krakauer Erzbischofs Wojtyla begann die Kirche, auch politisch verfolgte Nichtkatholiken zu verteidigen, und nahm den ungeschmälerten Kampf um die Menschenrechte auf. Dem Bündnis der Kirche und der laizistischen Linken wurde der Weg geebnet, und es entstand jenes Amalgam aus katholischen, libertären und demokratisch -sozialistischen Strömungen, ohne das die Gewerkschaft Solidarnosc nicht denkbar wäre.
Für den fortschrittlichen Katholizismus für Leute wie Turowicz oder Mazowiecki war und ist eine selbstkritische Haltung zur Vergangenheit der polnischen Kirche einfach eine Notwendigkeit. Gegen heftigen Widerstand wurde von ihnen eine Debatte über Lanzmanns Film Shoa initiiert, wurde das Tabu des klerikalen Antisemitismus durchbrochen. Der Primas Glemp war von dieser Wendung ebensowenig angetan wie von dem Bündnis der laizistischen Linken mit den sozial und demokratisch engagierten Katholiken. Seine Ungnade traf die angeblichen Trotzkisten des KOR, traf auch das Bürgerkomitee Solidarnosc. Anläßlich der Wahlen unterstützte er den Rechtsanwalt Sila-Nowicki (aus der Shoa-Debatte in unrühmlicher Erinnerung) gegen Kuron und erwies auch dem Gegenkandidaten Michniks (der nicht nur der Linken entstammt, sondern auch unverzeihlicherweise jüdischer Herkunft ist) seine Huld - allerdings vergeblich. Sowohl Kuron wie Michnik wurden gewählt.
Man sollte Primas Glemp und seinen Anhang in der Hierarchie allerdings nicht mit der katholischen Kirche und noch weniger mit den polnischen Katholiken verwechseln. Sein Vorstoß gegen das Solidarnosc-Bündnis, seine gegenaufklärerischen und antidemokratischen Attacken werden nicht ohne Antwort bleiben. Der maßvolle, aber eindeutige Kommentar in der 'Gazeta Wyborcza‘ wird nicht die einzige Erwiderung bleiben.
Christian Semler
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