piwik no script img

Menschmaschinen in Flämmerei

■ Die Schwäche realistischer Darstellung bei KLÖCKNER

Was erwarten wir, wenn der Betriebsrat von Klöckner unter Zuhilfenahme einer ABM eine Künstlerin beauftragt, binnen Jahresfrist fünf große Tafelbilder aus dem Bauch des Stahlriesen herzustellen? Und zwischen Kaltwalzwerk und Warmwalzwerk ein „Atelier“ bereitstellt? Wir erwarten SozRealismus. Wird diese Erwartung nicht enttäuscht, sind wir zunächst einmal enttäuscht.

Die Malerin Doris Lenkeit kennt solche Vorbehalte, weiß, daß SozRealismus nicht mehr als „kunstfähig“ gilt. Im Gegensatz zu vielen KollegInnen ihres Gewerbes weiß sie allerdings, für wen sie arbeitet. In einem Jahr, in dem sie sich in Schutzkleidung relativ frei auf dem Gelände der Hütte bewegen konnte, hat sie nicht nur das Gewaltsame der Produktionsverhältnisse, sondern auch die kleinen Menschen in den Verhältnissen kennengelernt. Die Kollegen, anfangs skeptisch, begannen bald zu schätzen, daß sich die Künstlerin für ihre Normalität interessierte und Spiegelbilder des Alltags schuf. Begeistert entdeckten sie Details ihrer Arbeitsplätze wieder oder fühlten sich böse an die Zeit erinnert, als in der Flämmerei ihr Rückgrat zuschanden ging. Kleinere Korrekturvorschläge kamen: „Das stimmt aber überhaupt nicht“, meinte der Kranführer, weil Doris Lenkeit seinen Kran mit einem Seil zu wenig ausgestattet hatte.

Sieht man genauer hin, hat sie die „naturalistische“ Darstellung vielfach gebrochen. Das Innere der Flämmerei verändert sich sur

realistisch-unmerklich ins Äußere des Gebäudes; der „Steuermann“ an der Steuertafel versammelt um sich verschiedene Produktionen in der Komplexbildtechnik. Oder die Eisenbahnschienen, die in den Bildhintergrund laufen. Vorn zerknautschte Schutzhandschuhe mit Blutfleck. Ihre Auseinandersetzung mit einem schlimmen Betriebsunfall.

Die Künstlerin stellte im Laufe der Zeit immer mehr die Unzulänglichkeit „realistischer“ Arbeitsweise fest. Fragen drängten sich auf: wie ließe sich darstellen, daß Menschen eigentlich nicht für solche gewaltsamen, lauten und heißen Prozesse geschaffen sind. Nicht passen. Oder die scheinbar heile, vielerorts idyllische Natur auf dem Gelände, wo man doch keine Beere essen möchte.

Ästhetische Fragen, die während ihrer Produktion auftauchten. Doris Lenkeit bezeichnet ihre Bilder als „Zwischenprodukte“, sie würde sehr gern bei Klöckner weitermalen. „Mein Ausgangspunkt ist, was ich sehe, nicht, was ich weiß“, sagt sie, um ihre Vorstellung von „demokratischen Bildern“ zu erläutern. Die Räumlichkeiten mitten zwischen rohem Eisen, Konvertern und Walzanlagen würden ihr angesichts des ausgetrockneten ABM-Programms schon reichen. Zart didaktisch hat sie sowieso die Hoffnung, daß ihre „Kollegen“ nicht nur Schönes und Wiedererkennbares sehen wollen, sondern sich auch an Bilder gewöhnen könnten, an denen man sich zu reiben hat.

Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen