: „Verbotene Vernehmungsmethoden“
■ Vorwurf zweier Rechtsanwälte: Polizei bringt Rauschgiftabhängige mit Codeinpräparaten in „psychische Zwangssituation“
„Wegen verbotener Vernehmungsmethoden sind die Aussagen der Angeklagten vor der Polizei nicht zu verwenden.“ Horst Wesemann, Rechtsanwalt und Verteidiger der 23jährigen Jeannette A., erhob gestern im Rahmen einer Verhandlung zusammen mit seinem Kollegen Martin Stucke vor dem Bremer Amtsgericht gravierende Vorwürfe gegen mindestens zwei bremische Kripobeamte. Jeanette A. war zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung ebenso wie Andreas C., mit dem zusammen sie Straftaten begangen haben soll, rauschgiftabhängig. Als es nach der Verhaftung und während der folgenden polizeilichen Vernehmungen durch
die beiden Beamten M. und G. mit den Entzugserscheinungen losging, sei einer der Beamten in die Wohnung der Verhafteten gefahren, habe von dort das Codein-Präparat 'Remedazen‘ in Comprettenform mitgenommen und während der Vernehmungen den Tatverdächtigen verabreicht. „Ein hochwirksames Nervengift, stückweise verabreicht und weit unter der Dosierung, die sie braucht, um den Entzug zu dämpfen“, erklärte Wesemann gestern vor Gericht.
Rauschgiftabhängige, einem plötzlichen Entzug ausgesetzt, sind in höchstem Maße erpreßbar und mit jeder verstreichenden Stunde weniger vernehmungsfä
hig. Mit den einsetzenden Symptomen wächst zudem die Angst vor den bevorstehenden quälenden Entzugserscheinungen. Wer einer Verhafteten ein bißchen Gegengift zugesteht und den so dringend benötigten Rest für später in Reserve hält, schafft, so Wesemann, eine „psychische Zwangssituation“, die die freie Willensentscheidung, ob, was und wieviel ausgesagt wird, nachhaltig beeinflußt.
Gestern nachmittag saßen auf dem Gerichtsflur die beiden Kripobeamten, um als Zeugen vernommen zu werden. Und dem Amtsrichter Bernd Teuchert standen die Akten buchstäblich bis zum Hals. Zahllose Anklagen, et
liche davon Bagatellen, waren den beiden Angeklagten einzeln vorgeworfen worden, einige auch als gemeinsame Tatbestände. Beide räumten einiges ein, machten zu anderem keine Aussage. Kurz bevor die beiden Polizeibeamten hätten vernommen werden sollen, faßte das Gericht den Beschluß: Die Verhandlung wird unterbrochen, eine Reihe von Anklagepunkten aus der umfangreichen Liste wird eingestellt, die Beamten jedenfalls können ungefragt nach Hause gehen.
Nach Hause geschickt wurden auch zwei Zeugen, die Licht auf eine andere rechtswidrige Ermittlungsmethode hätten werfen können. Um herauszubekommen, ob es die beiden Angeklagten waren, die auf der Post und bei der Sparkasse geklaute und gefälschte Schecks eingereicht hatten, seien
die beiden Verdächtigen „entgegen jeglicher kriminalistischer Praxis“, so Verteidiger Stucke, kurzerhand und als einzige an Ort und Stelle vorgeführt worden, ohne daß eine Gegenüberstellung zusammen mit anderen Personen stattgefunden hätte.
Wenn sich eine Strafverfolgungsbehörde von dem Verdacht solch rechtswidriger Ermitttlungspraxis in Kenntnis gesetzt sieht, dann kann und muß sie den Tatbestand verfolgen. Auf die Frage, was sie in Hinblick auf die Polizeibeamten unternehmen werde, antwortete Staatsanwältin Neubert zur taz spontan: „Nichts; Herr Wesemann kann ja Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen.“ Ob sie selbst die Akten mit einem Vermerk an den Dezernenten zurückgehen lassen will, das will sie sich noch offen halten. SU
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