: Pläne für Öko-Umbau längst in den Konzernschubladen
■ Am Wochenende treffen sich die Realo-Grünen, um unter anderem über ökologische Umbauprogrammatik zu beraten / Udo Knapp und Jochen Reiche haben dazu ein Papier vorgelegt, in dem sie sich gegen die These aussprechen, daß der Umbau „weh tun“ müsse / Politische Zielentscheidungen wichtiger als Instrumente
Wie sich doch die Zeiten ändern. Die Partei, die sich in ihrer Führungsspitze und in ihrem traditonellen Gewerkschaftsflügel noch vor zehn Jahren dagegen aussprach, Umweltanforderungen mit gleichem Rang wie die Garantie der Arbeitsplätze zu behandeln, hat im August 1989 ganz unbestritten die Meinungsführerschaft auf dem Gebiet der Umweltpolitik errungen und wird sie bis zur Bundestagswahl 1990 kaum wieder abgeben.
Es ist auffallend, daß die Meinungsführerschaft der SPD mit nur wenigen wirklichen Inhalten erreicht wurde. Zu wichtigen Teilen von „Fortschritt 90“ liegen gegenwärtig erst Vorüberlegungen vor.
Personen und Papiere der SPD versichern nach jedem zweiten Satz, daß diese oder jene Maßnahme selbstverständlich strikt „aufkommensneutral“ finanziert werde. Die SPD trägt die Aufkommensneutralität wie ein Kreuz vor sich her. Dieses Argument soll den Eindruck, die SPD sei in Finanzdingen unsolide, auslöschen - ein Urteil, das in den letzten Jahren der sozialliberalen Koalition zu recht entstand. Sachlich ist Aufkommensneutralität nur schwer begründbar.
Die Industriegesellschaft der Bundesrephblik wird, im Unterschied zu den Staaten Osteuropas und der Mehrzahl der EG-Länder, seit mindestens einem Jahrzehnt kontinuierlich ökologisch umgebaut, sicher noch zu langsam, immer der „sichtbaren Hand“ des Staates bedürfend. Aber Wahlen wird nur gewinnen, wer überzeugend darstellen kann, daß er/sie den Umbau in Angriff nehmen wird.
Nicht derjenige wird die Wähler überzeugen, der behauptet, überall und alles müsse unter erheblichen Opfern umgebaut werden, sondern derjenige, der sich auf einige wenige Bereiche exemplarisch beschränkt und gleichzeitig signalisiert, daß das ohne schmerzhafte Einschränkungen anzustreben ist.
Als ersten Schritt eines ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft wollen die Sozialdemokraten „die Energiesteuern erhöhen und im Gegenzug die Besteuerung der Arbeitseinkommen verringern“ („Fortschritt 90“). Das SPD -Programm ist im Ansatz ein sinnvolles Konzept, das Unterstützung finden sollte. Aber es ist nur ein kleines Schrittchen, kein großer Schritt in die richtige Richtung. Zudem sind seine umweltpolitischen bzw. ökologischen Wirkungen, soweit sie überhaupt abgeschätzt werden können, eher klein. Kurz, das Konzept muß zugespitzt und weitergedacht werden. Ihm fehlt eine Portion power und ein mutiger und phantasievoller Partner. Die Grünen müßten beweisen, daß sie das eine haben und das andere sein können.
In der Diskussion um die Umweltpolitik muß vor einer Überschätzung der Frage der Instrumente gewarnt werden. Grundsätzlich gilt, daß in der Umweltpolitik die Frage der Ziele und der glaubwürdig nach außen vertretene Wille der Regierung, diese Ziele auch durchzusetzen, wichtiger sind als die Frage nach den jeweils am besten geeigneten Instrumenten.
Eine solche Zielbestimmung ist im Konzept „Fortschrtt 90“ nicht in umweltpolitischer, umsetzbarer Form vorhanden. Umsetzbare Ziele enthält dagegen die von uns vorgeschlagene Rangfolge, die auf die drängende Aufgabe der Reduzierung von CO2-Emissionen des Individualverkehrs bezogen ist:
1. Alle fahren weniger
2. Alle fahren langsamer
3. Alle Autos werden zukünftig energiesparend konstruiert
4. Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene
In „Fortschritt 90“ fehlt eine solche oder ähnliche Zielkonkretisierung. Das Pferd wird damit von hinten aufgezäumt; denn die Frage der Instrumente (Steuerreform) wird in den Vordergrund gerückt. Natürlich wirken Instrumente. In der Umweltpolitik kommt es aber gerade darauf an, die Wirkungen verschiedener Instumente quantitativ abzuschätzen, bevor die Wahl zwischen ihnen getroffen wird, und nicht nur die Wirkungsrichtung zu bestimmen.
Zweifellos ist eine kausale Zuordnung konkreter und ökologischer Wirkungen zu konkreten einzelnen Maßnahmen schwierig und in der sozialen Wirklichkeit oftmals sogar unmöglich. Beispielsweise kann der im Gefolge der Durchsetzung einer bestimmten Maßnahme entfaltete öffentliche Druck in den Medien ausschlaggebender für die Verhaltensänderung von Unternehmen oder Verbrauchern sein als der durch die Maßnahme geschaffene Anreiz.
Am Beispiel der im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Maßnahme von „Fortschritt 90“, der Erhöhung der Kraftstoffpreise um rund 50 Pf/l, können diese Versäumnisse exemplarisch dargestellt werden. Zweifellos wird weniger Kraftstoff verbraucht werden. Doch wie groß sind ihre Wirkungen? Liegen Abschätzungen vor? Nein. Die Prognose scheint nicht sehr gewagt zu sein, daß die Einspareffekte nicht die gewünschten Ausmaße annehmen werden, also eher gering sind. Kostenrechnungen belegen, daß grob geschätzt die laufenden Kosten des privaten PKws circa 10 Pf/km und der öffentlichen Nahverkehrsmittel circa 20 Pf/km betragen. Erst bei einer Verdoppelung der Kraftstoffpreise bestünde für den Pkw-Besitzer daher ein wirtschaftlicher Anreiz, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Aus diesem Vorschlag, der die „Fortschritt 90„-Maßnahme in eine realistischere Perspektive bringt, folgt, daß es besser, weil wirkungsvoller ist, ökonomische Rahmenbedingungen für kostenmäßig sich rechnende umweltverträgliche Alternativen zu schaffen, als - wie manche Mandatsträger der Grünen - mit den Schmerzen zu drohen, die ein „echter“ Umbau der Industriegesellschaft bereiten wird. Mit „Blut, Schweiß und Tränen“ kann man vielleicht den Widerstandswillen eines Volkes gegen einen Aggressor wachrütteln, aber keine Schlachten in der Umweltpolitik, erst recht nicht Bundestagswahlen zu gewinnen.
Ein positiver Vorschlag, in welche Richtung „Fortschritt 90“ zu verstärken wäre, läßt sich aus der bereits genannnten Rangfolge ableiten: alle fahren weniger und langsamer mit energiesparenden Autos.
Die für die drei o.g. Teilziele jeweils am besten geeigneten Instrumente scheinen zu sein:
-für das erste Ziel die drastische Erhöhung der Kraftstoffpreise, d.h. der Mineralölsteuer um rund 1 DM/l,
-für das zweite Ziel, das seit langem von SPD und Grünen vorgeschlagene Tempolimit,
-für das dritte Ziel die ordnungsrechtliche Maßnahme, nach Übergangsfristen nur noch entsprechend konstruierte Wagentypen zuzulassen.
Dem ordnungsrechtlichen Instrument des Gebots bzw. Verbots kommt entscheidende Bedeutung zu.
Spielraum besteht bei den sogenannten Spar-Autos, die noch nicht auf dem Markt sind. Bei ihnen handelt es sich um konstruktiv völlig andere Autotypen wie beispielsweise den seit Jahren entwickelten und ausgereiften VW-Polo, der drei Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Volkswagen möchte ihn erst auf den Markt bringen, wenn die Kraftstoffpreise soweit angezogen haben, daß die Nachfrage nach Autos dieser Ausstattung, die maximal 120 km/h fahren, gesichert erscheint.
Wir müssen uns fragen, was uns die Erhaltung unserer Umwelt „wert“ ist, beispielsweise den Verzicht auf Vielfahren, Unnütz-Fahren, Schnellfahren, Falsche-Autos-Fahren. Manche werden solche Verzichte vielleicht bereits als Ausdruck ihres Wunsches und ihrer Erwartung nehmen, daß der Umbau der Industriegesellschaft nicht ohne Schmerzen und Belastungen der einzelnen erfolgen kann. Wir würden sie eher als Zeichen eines vernünftigen, verantwortungsbewußten Handelns werten.
Der ökologische Umbau muß nicht in erster Linie weh tun, er muß stattfinden. Nicht alles, was weh tut, wirkt, und vieles kann wirken, ohne weh zu tun.
Der ökologische Umbau ist kein Revolutionsersatz. Aber wir können ihn beginnen. Die Konzerne wissen, daß es keine Alternative mehr gibt. Die Pläne dazu haben sie längst in der Schublade. Was fehlt, sind die politischen Zielentscheidungen. Der ökologische Umbau ist machbar, Herr Nachbar.
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