piwik no script img

Halbstaatliches Rowdytum

■ Ein Betroffenenbericht von der AKW-Anhörung in Mülheim-Kärlich

So etwas wie das sogenannte atomrechtliche Genehmigungsverfahren für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Das Kernkraftwerk liegt in meinem Wahlkreis, wo der Widerstand gegen die Kernenergie in der Vergangenheit nie so spektakulär wie an anderen Orten verlief, kein Vergleich mit Brokdorf oder Whyl ist möglich. Trotz aller inhaltlicher Differenzen lief die Auseinandersetzung um das AKW nach bestimmten formalen Kriterien bisher korrekt ab. Offenbar konnte sich die rheinland-pfälzische Landesregierung auch Großzügigkeit in jeder Hinsicht leisten, sowohl gegenüber dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk als Betreiber

-wobei den Bauherren die Genehmigungen in der Vergangenheit regelrecht nachgeschmissen worden waren - als auch gegenüber Gegnern, die bis in die jüngste Vergangenheit relativ unbehelligt blieben. Doch wer dachte, daß in Mülheim-Kärlich die Uhren grundsätzlich anders laufen, der wurde in den letzten Tagen eines Besseren belehrt.

Heute sind die Atomwirtschaft und die rheinland-pfälzische Landesregierung eindeutig in die Defensive geraten, und ich mußte dies am eigenen Leib erfahren. In blaue Phantasieuniformen gesteckte Mitarbeiter einer Werkschutzfirma zeigen dem Bürger in Mülheim-Kärlich, wo's langgeht: Nicht jeder erhält Zutritt zum Ort des Verfahrens. Auch dann nicht, wenn er Abgeordneter des Deutschen Bundestags ist. Wer Zutrittsrecht hat, muß in herabwürdigender Art Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Wer in dieser Situation sich auf geltendes Recht beruft und meint, zumindest Bundestagsabgeordnete, die Urheber eben dieses Rechts sind, könnten sich darauf berufen, der hat sich getäuscht. Mir ist es persönlich so ergangen: Wie in einem billigen Western wurde ich von den Privatsheriffs unsanft vor die Tür gesetzt.

Ich ziehe hieraus die Schlußfolgerung: Nicht nur das AKW Mülheim-Kärlich und die Atomenergie insgesamt sind gefährlich, sondern auch und vielleicht gerade die damit gekoppelte Atomverwaltung. Diese Landesregierung ist als Urheberin des halbstaatlichen Rowdytums in Mülheim-Kärlich mit ihrem Latein am Ende.

Günter Pauli (SPD), Mitglied des Deutschen Bundestag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen