: Aussageverweigerung im Startbahnprozeß
Aussageverweigerungskampagne zeigt Wirkung: Michael K. läßt sich nicht zum Kronzeugen machen / Weitere Verfahrensabtrennungen sollen Beweisführung für „terroristische Vereinigung“ vereinfachen / Bürgerinitiative: Flughafenerweiterung jetzt „sensibler“ ■ Von Kreuzer und Blum
Frankfurt/Mörfelden (taz) - Die Aussageverweigerungskampagne („Arthur hält's Maul“) der Startbahnbewegung zeigte gestern im Oberlandesgericht Frankfurt offenbar Wirkung: Der wegen seiner belastenden Aussagen von der Szene als „Verräter“ gebrandmarkte Michael K. verweigerte die Zeugenaussage zu acht Komplexen. K. gehörte ursprünglich zu den neun Angeklagten im Startbahnprozeß vor dem 5. Strafsenat. Im Verfahren hatte er seine Belastungsaussagen zurückgenommen. Am 16. Mai wurde K. in dem abgetrennten Verfahren wegen „Störung öffentlicher Betriebe“ nach einem Anschlag auf einen Strommasten zu 18 Monaten Gefängnis auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Wegen der Einfuhr von Präzisionsschleudern mußte der 37jährige eine Geldstrafe von 2.000 Mark zahlen.
Am gestrigen Verhandlungstag begründeten Michael K. und sein Rechtsanwalt Gerhard Knöss die Aussageverweigerung mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil gegen den Frankfurter. Der 129a-Vorwurf sei nur vorläufig vom Tisch, Aussagen könnten deshalb auch zu einer Selbstbelastung führen. Zudem sei K. von der politischen Polizei vorgeladen worden: wegen Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz am 2.11.1987 an der Startbahn. Michael K. kündigte zudem an, das Aussageverweigerungsrecht auch auf frühere Aussagen von ihm anzuwenden, auf die sich ein Teil der Anklage gegen den Wiesbadener Andreas S. stützt.
Nach Einschätzung der „Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung“ und der Anwälte soll nun im Startbahnprozeß „auf Biegen und Brechen“ eine „terroristische Vereinigung“ zusammengeschustert werden. Dies stehe als eigentliche Intention hinter der am Dienstag überraschend angekündigten Abtrennung der Verfahren gegen Ina T., Andreas S. und Reiner H. nach Beendigung der Beweisaufnahme zum Vorwurf „terroristische Vereinigung“. Der Mordprozeß gegen Andreas Eichler und Frank Hoffmann könne dann gesondert und mit viel Pressewirbel begonnen werden, so die Einschätzung der BI. Eine „terroristische Vereinigung“ sei die letzte Möglichkeit für Senat und Bundesanwaltschaft, ihren riesigen Ermittlungs- und Prozeßaufwand wegen der 13 Anschläge auf Strommasten und Firmengebäude zu rechtfertigen. Denn die Beweismittel zu den einzelnen Straftaten blieben bisher äußerst dürftig. Gäbe es eine „terroristische Vereinigung“, so könnten die diversen Strommastsägereien universell den Gruppenmitgliedern zugeschrieben werden.
Anwältin Waltraut Verleih erwartet nun im weiteren Prozeß, daß Gericht und Bundesanwaltschaft - deren Vertreter entgegen der Forderung der Verteidigung nicht abberufen wird - „eine Vielzahl von Mosaiksteinchen“ für eine solche Vereinigung zusammen basteln werden. Dazu würden alle nur auffindbare Gemeinsamkeiten der Angeklagten zusammengetragen: Die illegalen Broschüren „Feuer und Flamme“ und „Guerilla diffusa“ seien bei mehreren Beschuldigten beschlagnahmt worden und könnten als Indiz in den Prozeß eingeführt werden. Ein 'Spiegel'-Interview mit vier Autonomen werde in den kommenden Prozeßtagen auf den Tisch kommen, um den Versuch zu unternehmen, die dargestellten Gruppenstrukturen auf die Angeklagten zu übertragen.
Mit dem 129a-Vorwurf beschäftigten sich auch die TeilnehmerInnen der ersten Solidaritätsveranstaltung im Rhein-Main-Gebiet seit Beginn des Prozesses. Diskussionsredner befürchteten am Mittwoch in Mörfelden weitaus härtere Strafen für die verbliebenen fünf Beschuldigten als für die vier bereits Verurteilten. Um das 129a-Konstrukt im Startbahnprozeß noch verhindern zu können, sei eine neue Mobilisierung der Solidaritätsbewegung und die Herstellung von Öffentlichkeit notwendig. Allerdings verspricht man sich kaum Unterstützung von der Presse.
Neben der Auseinandersetzung mit dem Prozeß bereiten sich StartbahngegnerInnen nun intensiv auf eine neue Flughafenerweiterung und eine Umstrukturierung der gesamten Rhein-Main-Region vor. Denn mit der Einführung des EG -Binnenmarktes 1992 und einem zu erwartenden Boom im Osthandel werde der Frankfurter Flughafen rechtzeitig seine Kapazität erweitern, um innerhalb der europäischen Konkurrenz „das Rennen zu machen“, so ein BI-Mitglied. „Die Zeiten, in denen Staat und Kapital Großprojekte gegen den Willen der Bevölkerung durchknüppeln, ist aber vorbei“, meint er. Die Flughafen Aktiengesellschaft (FAG) gehe nun viel sensibler vor und wolle eine neue Bürgerbewegung verhindern. Anstelle einer neuen Flächenrodung sei vielmehr eine Intensivierung des Flugverkehrs auf den bestehenden Pisten zu erwarten, unter anderem durch eine Auslagerung der Kleinflugzeuge. Mehrere Erweiterungsszenarien würden derzeit bei der Flughafen Aktiengesellschaft (FAG) diskutiert, entschieden sei noch nichts.
Bisher handele es sich bei allen Verlautbarungen bloß um Gedankenspiele, und mit Gedankenspiel lasse sich politisch niemand mobilisieren, resümierte ein Sprecher die gegenwärtige Situation der BI. Künftige Protestbewegungen würden entsprechend der vorsichtigeren Gangart von FAG und anderen Projektemachern auch wesentlich moderater sein als die sozialen Bewegungen bisher. „So eine Massenbewegung wie 80/81 wird es nicht wieder geben“, war ihre gemeinsame Einschätzung.
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