: Europa will mehr als urinieren
In der kommenden Woche wird Bundeswirtschaftsminister Haussmann die Ministererlaubnis für die Fusion von Daimler Benz und MBB erteilen Ein wichtiger Schritt hin zur mächtigen europäischen Luft- und Raumfahrtgruppe, an der alle Konzerne beteiligt sind, die schon jetzt Rang und Namen haben ■ Von Horst Buchwald
Bundeswirtschaftsminister Haussmann trifft eine klare Entscheidung: Die Fusion von Daimler und MBB kann mit ein paar milden Auflagen vollzogen werden. Nur zehn Minuten später erhält Edzard Reuter einen Anruf. Sir Raymond Lygo, Chef von British Aerospace (BA), gratuliert ihm erleichtert. Jetzt, so teilt er dem Daimler-Chef mit, könnte die im Februar dieses Jahres ins Auge gefaßte Kapitalbeteiligung an BA realisiert werden. Reuter stimmt zu. Nur wenig später faxt Aerospatiale-Chef Matre seine Glückwünsche rüber. Hocherfreut über das Dekret des Bonner Ministers teilt er mit, nun seien alle Hindernisse für die Gründung des gemeinsamen Hubschrauber-Konzerns „Eurocopter“ beseitigt. Reuter faxt zurück: An einer raschen Umsetzung sei auch er interessiert.
So ähnlich könnte es sich in wenigen Tagen abspielen, wenn Haussmann zur finalen Pressekonferenz zu diesem Thema schreitet. Klar würde dann auch, was bisher nur schemenhaft sichtbar ist: Die Fusion von Daimler Benz und MBB ist auch ein wichtiger Schritt zur Bildung einer mächtigen europäischen Luft- und Raumfahrtgruppe. Sir Raymond hat sich dafür schon seit längerem stark gemacht. In zehn Jahren, so seine Vision, müsse eine solche Gruppe auf die Beine gestellt werden. Mit Fiat-Chef Agnelli hatte er darüber im Frühjahr bereits weitgehend Einigkeit erzielt. Reuter hielt sich mit klaren Aussagen zwar zurück, doch aus vielen seiner Ausführungen kann man dieses Ziel herauslesen. Nur mit den Franzosen ist es komplizierter. Aerospatiale ist der wichtigste Lieferant für die Force de frappe. Dieser Bereich ist streng geheim - eine ausländische Beteiligung deswegen nicht unkompliziert.
Doch die europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen hat der Ehrgeiz gepackt. Sie wollen es der amerikanischen Konkurrenz zeigen. Ihre Chancen stehen nicht schlecht, aber das, was ihnen bisher an Zusammenarbeit angeboten wurde, reicht ihnen bei weitem nicht. Voller Sarkasmus hat denn auch Lygo einmal die Frage gestellt, was die Europäer auf US -Raumschiffen wohl sonst noch machen könnten als zu urinieren.
Von der Luft- und Raumfahrtindustrie erwarten viele Experten im nächsten Jahrhundert die bedeutendsten Innovationen: ähnlich wie bei der EDV in den sechziger und siebziger Jahren, würden jetzt in dieser Branche die Startlöcher gegraben. Damals, so Reuter, habe sich die deutsche Industrie nicht beteiligt. Das sei ein Fehler gewesen, den man nicht wiederholen dürfe.
Die Industrialisierung und Kommerzialisierung vor allem des erdnahen Weltraums hat bereits begonnen. Über hundert Kommunikationssatelliten übertragen riesige Datenströme und sorgen für Hörfunk- und Fernsehprogramme rund um den Erdball. In sie wurden bisher 15 Milliarden Dollar investiert. Schon jetzt wird ein jährlicher Umsatz von über 5 Milliarden Dollar erzielt. Die Möglichkeiten sind jedoch noch lange nicht ausgeschöpft. Schnelle Datenübertragung für Rechenzentren, Text- und Bildübertragung sowie Videokonferenzen werden ihre kommerziellen Potentiale noch entfalten. Eines der Schlagworte auf der zur Zeit in Berlin stattfindenden Internationalen Funkausstellung heißt „digitale Übertragung“. Erst die Satellitentechnik macht sie möglich. Allein diese Märkte sind viele Milliarden schwer.
Ein weiteres Einsatzfeld des jungen Industriezweiges soll die Erdbeobachtung im Dienste des Umweltschutzes sein. Dabei geht es neben der Klimaforschung und Ozeanographie auch um das Erstellen von Strahlungsbilanzen.
Mit der bemannten, aber auch der unbemannten Raumfahrt schließlich sollen im Zustand der Schwerelosigkeit Umwälzungen in Physik, Chemie, Materialforschung, Verfahrenstechnik, Biologie und Medizin eingeleitet werden. Dieser Zweig könnte sich zu einem wahren Technologietreiber entwickeln.
13 europäische Länder, und mit einem 0,5-Prozent-Anteil auch Kanada haben im Rahmen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) bereits drei Systeme in Angriff genommen: die sehr leistungsfähige Trägerrakete Ariane 5, einen Raumtransporter Hermes und eine Beteiligung an der US -Raumstation „Freedom“. In den nächsten zehn Jahren wird allein die BRD für diese Entwicklung 27 Milliarden Mark aufwenden.
Auffällig dabei ist, daß es nicht allein in der BRD, Frankreich und Großbritannien zu einer Konzentration kommt. In Norwegen haben sich mit der Norspace AS vier High-tech -Firmen zu einem Joint-venture verbunden: Norsk Data, Computas, Informasjonskontroll und Spacetec. Sie werden im Rahmen der ESA ihr Know-how aus der Offshore-Technik, der Rüstung, Meteorologie, Atomforschung und Raumfahrt einbringen. Außer mit MBB arbeitet Norspace bereits mit dem französischen Rüstungskonzern Matra zusammen.
Eine Sonderstellung nehmen jedoch trotz der forschen Sprüche Sir Raymonds die Briten ein. Sie haben sich vom Bau des Raumgleiters und auch der Trägerrakete verabschiedet. Statt dessen setzen sie auf einen Hyperschalltransporter mit dem Namen „Hotol“, der für einen geringen Teil der Kosten der US-Shuttles bzw. Hermes Komponenten und Passagiere ins All befördern soll. Außerdem arbeiten British Aerospace, die 1988 privatisierte Royal Ordinance Group sowie die General Technology Systems Co. an der Entwicklung einer Mini -Trägerrakete, die schon ab 1991 die ersten europäischen Satelliten in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern soll. Weil dies im Alleingang nicht möglich ist, wurden die schwedische Saab Space, das norwegische Raumfahrtzentrum und MBB-Erno als Partner verpflichtet. Wie zu sehen ist, hat die europäische Kooperation trotz einiger Querelen schon weite Fortschritte gemacht.
Eine Konkurrenz zu „Hotol“ wird der deutsche Hyperschalltransporter „Sänger“, an dem neben MBB, MTU und Dornier (die nach der Fusion allesamt zur Deutschen Aerospace gehören) auch Linde und MAN Technologie beteiligt sind.
Bei der Entwicklung dieser Fluggeräte geht es darum, die ernorm hohen Transportkosten von derzeit 8.000 Dollar je Kilogramm Nutzlast drastisch zu senken. Die Entwicklungskosten von mindestens 40 Milliarden Mark kann jedoch ein Land allein nicht aufbringen. Eine internationale Kooperation ist auch hier unerläßlich. Die ESA ist dafür der Dreh- und Angelpunkt.
Systemführerschaft
ohne Wettbewerb
Von dort werden Aufträge nach der Höhe der nationalen Finanzierungsanteile vergeben. Das Bundeskartellamt hat in seiner Stellungnahme zur Fusion Daimler/MBB betont, eine Einigung in der ESA sei „nicht das Ergebnis eines wettbewerbspolitischen Prozesses aufgrund konkurrierender Angebote der interessierten Unternehmen“. Sie beruhe vielmehr „auf technologie-, industrie- oder auch außenpolitischen Erwägungen und Entscheidungen“. Maßgeblich ist jedoch die Systemführerschaft. Diese beruhe auf der Fähigkeit, „für komplexe Systeme produktübergreifend Konzeptionen zu Inhalt und Vorgehen zu entwickeln, die Leistungen auszuschreiben und zu integrieren sowie das Projektmanagement zu übernehmen“. Der Systemführer schließlich entscheidet, welche Anteile der Auftragnehmer am Gesamtsystem erbringt und welche er an andere Firmen weitergibt.
Die Fusion von Daimler/MBB wird dazu führen, daß ein nationaler Wettbewerb in den Bereichen Trägersysteme, Orbitalsysteme (Weltraum- und Boden-Infrastruktur) sowie Satelliten ausgeschlossen werden kann. Die Überlegenheit der Deutschen Aerospace ist einfach zu groß. Die Abhängigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen - falls sie überhaupt Aufträge erhalten - wird sich noch deutlicher zeigen. Wegen der Zielstellung, eine starke europäische Weltraumgruppe zu schaffen, dürfte sich diese Tendenz noch verschärfen. Damit ist absehbar, daß die starken Luft- und Raumfahrtkonzerne Europas (Deutsche Aerospace, British Aerospace, Aerospatiale) die Systemführerschaften unter sich ebenso aushandeln werden wie die Aufteilung der Unteraufträge.
Elftausend Aufträge
zu vergeben
Nicht weniger spektakulär als in der Raumfahrt geht es auf dem Weltmarkt für Verkehrsflugzeuge zu. Nach einer MBB -Prognose werden in den nächsten 20 Jahren weltweit 11.150 neue Flugzeuge im Gesamtwert von 570 Milliarden Dollar benötigt. Der Markt boomt schon jetzt. Spitzenreiter Boeing verkaufte im letzten Jahr 636 Maschinen im Wert von fast 30 Milliarden Dollar und schiebt einen Bestand an unerledigten Festbestellungen im Wert von 80 Milliarden Dollar vor sich her. An zweiter Stelle rangiert McDonnell Douglas. Airbus Industrie will in den neunziger Jahren einen Marktanteil von 30 Prozent erringen. An diesem Konsortium sind Aerospatiale und MBB mit je 37,9, British Aerospace mit 20 und die spanische Casa mit 4,3 Prozent beteiligt.
Entsprechend wird der wichtigste Teilmarkt, der für Triebwerke, auch nur noch von drei Herstellern beherrscht. Die amerikanische General Electric und die französische Snecma halten bereits 60 Prozent aller fest georderten Triebwerkaufträge. Die International Aero Engines - ein Konsortium des US-Konzerns Pratt & Whitney (Anteil: 30 Prozent), British Aerospace-Tochter Rolls Royce (30), Japanese Aero Engines (23), Daimler-Tochter MTU (11) und Fiat-Tochter Aviazione (6) - kann dagegen nur einen Marktanteil von 23 Prozent vorweisen.
So hat die Deutsche Aerospace mit Daimler-Benz und der Deutschen Bank im Rücken und im Verbund mit den EG- und nicht-EG-europäischen Partnern und den mit ihnen verbundenen Industrie- und Finanzgruppen erstklassige Voraussetzungen, um schon bald auf allen Gebieten der Luft- und Raumfahrt ganz vorn mitzumischen. Die Glückwünsche, die Edzard Reuter in der kommenden Woche zugefaxt bekommen dürfte, haben ihre Berechtigung.
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