: Streit unter Ungarns Reformern
■ ZK uneins über mögliche Auflösung der Basisorganisationen der Partei in den Betrieben
Berlin (taz) - Auf der Sitzung des ZK der ungarischen sozialistischen Arbeiterpartei ist es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Parteivorsitzenden Nyers und Pozsgay gekommen, die beide dem Präsidium der Partei angehören. Pozsgay hatte dem Oppositionsbündnis „Runder Tisch“ zugesagt, daß die Basisorganisationen seiner Partei in den Betrieben, der Verwaltung und der Armee aufgelöst werden würden. Offensichtlich hatte er hierfür nicht das Einverständnis des Präsidiums. Nyers hat jetzt erklärt, daß Pozsgay „dazu nicht ermächtigt war und in dieser Frage nicht über die alleinige Kompetenz verfügt“. Im Rahmen des „Runder Tisches“ hatte sich vor allem die demokratische Jugendorganisation Fidesz für die Auflösungsforderung stark gemacht.
In der Vergangenheit waren - nicht nur in Ungarn freigestellte Funktionäre häufig aus dem Betriebsetat bezahlt worden. Aus Steuermitteln wurde auch der Etat der faktisch parteieigenen Arbeitermilizen und die Subventionen für diverse Parteiunternehmungen bestritten. Unter den Reformströmungen war es im Prinzip nicht umstritten, die Partei künftig aufs „Territorialprinzip“ umzustellen, das heißt, auf die Wohngebietsorganisationen, die bislang die Domäne der Rentner waren. Strittig sind nur Tempo und Stil der Umstellung. Mit der Auflösung der Betriebsorganisationen wird die KP das leninistische Organisationsprinzip „Jeder Betrieb sei unsere Burg“ beerdigen. Allerdings ist das letztlich nur ein formaler Akt. Die Betriebszellen, ohne Einfluß auf die Politik der Partei, haben in Ungarn seit den 70er Jahren auch als Instrument betrieblicher Herrschaft an Bedeutung verloren. Für das Nomenklatursystem waren sie ebenfalls marginal, denn die leitenden Betriebsfunktionen wurden auf höherer Ebene ausgehandelt. Bei den betrieblichen Parteimitglieder, die auf den unregelmässigen Sitzungen mit Materialien überschüttet wurden, wird der Vorstoß auf Widerstand stoßen.
Nyers Kritik an Pozsgays Zusicherungen ist nur taktisch motiviert. Er möchte vermeiden, daß die ultrakonservativen Gruppierungen wie die Ferenc-Münnich-Gesellschaft oder die neugegründte Marxistisch-Leninistische Partei, die bis jetzt isoliert waren, Zustrom aus dem schwankenden bürokratischen Apparat erhalten. Nur dann wäre eine konservative Abspaltung gefährlich.
C.S.
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