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Swinging Metropolis

■ 42. Geschmäcker

Einmal spielt er auch die zweite Geige, pardon: das zweite Piano, der fleißige Günter Neumann, als er nämlich neben jenem sitzt, über den es seit UrKabarettZeiten heißt: „Am Flügel: Rudolf Nelson“. So geschehen 1949 im Theater am Kurfürstendamm, wo Nelsons Revue „Berlin W-Weh“ gefeiert wird. Mit ihm ist eine Institution zurückgekehrt aus der Emigration, dem holländischen Untergrund, einer, über den Tucholsky bereits 1913 sagte: „Er sitzt am Klavier, und man begreift die Bedeutung und die Wichtigkeit eines Chanson -Refrains.“

Fraglich, ob er solch Lob nach dem Kriege noch hätte aufrecht erhalten können. Was Tucho dann 1931 beklagte, trifft nun in besonderem Maße zu; allzu freier Umgang der Interpretinnen mit dem klassischen Chanson, mangelnder Respekt vor der Melodie: „Sie sagen auf. Sie rezitieren, und wie rezitieren sie! ... Sie sprechen das auf Schallplatte. Sie 'bearbeiten‘ es. Sie modeln es um; sie 'bringen‘ es. (Heutzutag 'machen‘ sie es gar. N.T.) Und der Autor guckt in den Mond ... Schrecklich, wenn sie über die Versenden, die doch einen Einschnitt bedeuten, den Text 'sinngemäß‘ ziehen

-während doch der Rhythmus zu beherrschen hat; fürchterlich, wenn sie 'Nuancen‘ erfinden, die gar nichts mit dem Lied und alles mit ihrer Eitelkeit zu tun haben ... Die schlimmste Zensur für unsereinen sitzt nicht in den Ministerien, sondern in größenwahnsinnig gewordenen Mimen, die, überbezahlt, nur das durchgehen lassen, was sie begreifen. Und das ist nicht viel.“

„Hinauf und hinab durch den Pandschab,/ den Fluß entlang bis zum See: ich sehe schon aus im Spiegel/ wie eine Vierzigjährige“, heißt's in „Surabaya-Johnny“. Maurus Pacher kommentiert: „Die junge Lotte Lenya hatte Sinnlichkeit und Höhe. In höherem Alter verlor sie auch die Höhe und prägte den 'proletarisch-kargen‘ Stil, der sich auf Brechts theoretische Schriften berufen konnte. (Sensationshechler Donald Spoto, der bereits olle Hitchcock über seine JournaillenKlinge springen ließ, hat uns ja auch Frau Lenya zwischen zwei Buchdeckel gequetscht. N.T.) Bereits Gisela May bringt Brecht-Songs wie offizielle Verlautbarungen. Und als Teresa Stratas 1986 eine hinreißende Weill-Platte aufnimmt und den Surabaya-Johnny endlich wieder so singt, wie er gemeint war und wie er notiert ist, meinen die verdorbenen deutschen Ohren, eine 'verirrte Operndiva‘ zu hören.“

Welch Geschmacks man immer sein mag, daß man hierzulande so seine Schwierigkeiten hat mit E & U, mit dem, „was jeden zur Verzweiflung bringt, bis er's selber singt“, wie Ralph Benatzky 1917 selber schlagerte, das ist bekannt. Zur polemischen Abrundung noch ein Fitzelchen Pacher versus Adorno, mit dessen Hilfe „in den fünfziger Jahren die moralische Vernichtung der gesamten 'Leichten Musik‘ einsetzt“. O-Ton Adorno: „Was nach Offenbach und Strauß kam, hat ihr Erbe schnell vergeudet. Nach ihren unmittelbaren Nachfolgern, die noch etwas aus besseren Tagen hüteten wie Lecocq, kamen die abscheulichen Ausgeburten der Wiener, Budapester und Berliner Operette. Dem Geschmack blieb es überlassen, ob man vom Budapester Schmalz oder von der Puppchen-Brutalität mehr abgestoßen wird.“ Gershwin wenigstens gesteht er zu, „eine talentvolle Transposition von Tschaikowsky und Rachmaninow in die Amüsiersphäre“ zu sein.

Lassen wir nun Maurus lospachern, ihn, den Texter für die Lach- & Schießgesellschaft, für Daliah Lavi, Evelyn Künneke, Margot Werner und andere: „Adornos Vorlesungen über Musiksoziologie an der Frankfurter Universität prägen Generationen deutscher Feuilletonisten. Heutzutage lernt jeder legasthenische Feuilleton-Volontär als erstes das Wörtchen 'seicht‘ zu buchstabieren. Grotesk an dieser Grundeinstellung, die keine andere Nation kennt, ist die unbedachte Annäherung an die NS-Ideologie und ihren Haß auf das leichthändig Triviale, das ihr als 'jüdisch -bolschewistisch‘ galt. Doch handelt es sich bei der heutigen Variante nicht um ein Abfallprodukt des Antisemitismus, sondern um Philoteutonismus, der fordert, daß deutscher Geist durchweg hell und hoch zu sein habe. Fatal an diesem Postulat ist der Gegeneffekt. Nicht nur Heino belegt sekündlich, daß ein Fortschritt zum Edleren sich nicht eingestellt hat.“

Man sehe dies als Diskussionsbeitrag zu undifferenzierten Aufräumarbeiten in Sachen Kultur: Jaja, gar gründlich ist des Deutschen Tun. Aber weil ich eigentlich erzählen wollte, wie Nelson Josephine Baker an den Kudamm holte, verweise ich auf nächsten Montag.

Norbert Tefelski

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