piwik no script img

Gesundheitsbad in der Menge

■ Am Samstag nachmittag stellte sich Gesundheitssenatorin Ingrid Stahmer im Glienicker Jagdschlößchen der Öffentlichkeit / Frage- und Antwortspiel lief vor allem auf Finanzprobleme hinaus / Zu wenig Gelder für Selbsthilfeprojekte und Behindertenarbeit

Wahre Welten klafften am Samstag nachmittag zwischen der anheimelnden, abgeschiedenen Septemberstimmung rund um das gediegene Glienicker Jagdschlößchen und der lebhaften Diskussion drinnen im Schinkelsaal. In der Reihe der Heimvolkshochschule „Senatorinnen stellen sich vor“ war es vorgestern an der Gesundheits- und Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), ihre politischen Pläne vorzustellen, kommentieren und hinterfragen zu lassen. Ein breites Spektrum von über 100 Leuten nutzte diese Gelegenheit: Pflegekräfte, VertreterInnen von Selbsthilfegruppen, RollstuhlfahrerInnen, RentnerInnen, aber auch „einfach nur neugierige“ Leute kamen in die Heimvolkshochschule am äußersten südlichen Stadtrand.

Etwas dröge zunächst erklang der sachliche Vortrag der Senatorin vorne am Pult. Aussiedler, Pflegehilfe - kein Punkt aus dem Programm der Gesundheitsverwaltung wurde ausgelassen. Doch schnell durchbrachen die ZuhörerInnen diesen Frontalunterricht in Sachen Gesundheits- und Sozialpolitik: „Wann wird endlich mal was für die Behinderten getan?“, „Was stellen Sie sich eigentlich konkret unter einer Geriatriekette vor?“, „Was tun Sie für Selbsthilfeprojekte?“ und immer wieder die bohrende Frage: „Wie gedenken Sie, den Pflegenotstand abzuwenden?“ Zwar schwang in den Fragen größtenteils Wohlwollen mit - „die Senatorin hat doch zur Zeit so viel mit den Aus- und Übersiedlern zu tun“ -, mit Phrasen abspeisen lassen wollten sich die ZuhörerInnen aber auch nicht.

Relativ hilflos wirkte die Senatorin, als es darum ging, geplante Maßnahmen gegen den Pflegenotstand zu erläutern. Freiwerdende Stellen seien nur mühsam bis gar nicht wieder zu besetzen, den Einsatz von arbeitslosen Ärzten und Psychologen in der Krankenpflege lehnte sie aufgrund mangelnder Qualifikation eher ab: „Die Situation in der Pflege wird schon jetzt viel zu sehr von Hilfskräften bestimmt.“ Das sogenannte „soziale Jahr“ für den Einsatz in der Krankenpflege zu nutzen, hält die Senatorin jedoch nach wie vor für richtig - jüngst vorgenommene Kürzungen in diesem Bereich seien ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung vorgenommen worden. Insgesamt blieb am Samtag auch Stahmer nichts anderes übrig, als in die generelle Klage über den Pflegenotstand mit einzustimmen. Denn, genauso wie dort, scheitern auch in vielen anderen Bereichen notwendige Verbesserungen am leidigen Geld (man, daß kein geld da ist, war ja wohl klar. aber erst das maul aufreißen, den leuten sonst was verklickern und dann is alles schmuh. sollte sich mal die cdu erlauben. was hätten die von euch zu hören gekriegt. sezza). Selbsthilfeprojekte konnten deshalb bisher nur unzureichend gefördert werden, auch die behindertengerechte Umrüstung von BVG und S-Bahnen scheiterte bislang am engen Finanzrahmen. Einzig Wohnungen sollen künftig so gebaut werden, daß sie sowohl für Nicht -Behinderte wie auch Behinderte bewohnbar sind.

Zwar waren die ZuhörerInnen alles in allem sehr interessiert, von heftigen Vorwürfen blieb Stahmer jedoch verschont - das Geldargument verfehlte nicht seine Wirkung und das Bad in der Menge blieb ziemlich lauwarm. Entsprechend lag ein Hauch von Unzufriedenheit auf den Gesichtern vieler, die am Schluß der Veranstaltung den Saal verließen: „Mal sehen, ob sie hält, was sie verspricht“, aber auch: „Immerhin hat man bei ihr das Gefühl, sie weiß, wovon sie spricht, anders als bei ihrem Vorgänger.“ Stahmer selbst zeigte sich durchaus zufrieden: „Ich bin immer froh über Anregungen aus der Bevölkerung, auch wenn sich nicht alles sofort realisieren läßt.“

Martina Habersetzer

Die Reihe „Senatorinnen stellen sich vor“ wird am kommenden Samstag um 15 Uhr fortgesetzt mit Barbara Riedmüller-Seel, Senatorin für Wissenschaft und Forschung. Michaele Schreyer, Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz, wird am 23. September um 14 Uhr erwartet. Ort: Heimvolkshochschule im Jagdschloß Glienicke, Königstr. 36b, 1000 Berlin 19. Tel: 805 01 91

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen