: Herzpillen sind kein Schrittmacher
Leverkusen gewinnt sicher mit 3:0 gegen Mannheim, aber wen interessieren die „Profis mit Herz“ eigentlich? ■ Aus Leverkusen Ernst Thoman
Porschefahrer Michael Maier stand vor zwei Jahren auf der anderen Rheinseite. Damals sprach er über den Nachbarn vom anderen Ufer: „Bayer, das ist doch ein Plastikclub.“ Inzwischen ist der Manager des 1. FC Köln Chef der Lizenzspielerabteilung bei Bayer Leverkusen. Der Mannschaftsbus der Werkself fährt seitdem mit dem Schriftzug „Mannschaft mit Herz“.
Willi Gierlich nimmt das wörtlich. Der veritable Mittfünfziger mit dem Michel-Piccoli-Gesicht, bei Bayer mit Sport-PR betraut, sammelt die journalistischen Attribute wie „Retorten- oder Plastikelf“ und „Pillenkicker“ über den Club, fotokopiert und unterstreicht sie mit Highliner. Per Post teilt er dann mit, man solle doch lieber „Profis mit Herz“ schreiben.
Müsli-Frühstücker Ewald Lienen sieht das anders. „Der Konzern macht die Umwelt und der Verein den Fußball kaputt“, wies der vor Volker Ippig (St. Pauli) als Liga-Linker vielgefragte bereits vor Jahren auf Macht und Möglichkeiten mit Millionen hin. Selbst ein Uli Hoeneß kapituliert da: „Gegen einen 30-Milliarden-Konzern bin ich ohne Chance.“
Genau wie Waldhof am Samstag. Der vor einer Woche gefeierte Bändiger des FC Bayern unterlag bei Bayer 04 mit Null zu Drei. Für Mannheims Trainer Sebert hatte hernach dennoch alles gestimmt, „Aggressivität, der Biß im Zweikampf, die Einstellung“. Kurz: das Fußballerherz steckte in Händen und Beinen. Doch der Gastcoach meinte den Gastgeber. Dessen Jungtrainer Jürgen Gelsdorf, immerhin Nachfolger von Minus -Rinus Michels, dankte artig: „So was hört man selten vom Gegner.“
Da ist sie also, die Mannschaft mit Herz, die unter Gelsdorf auswärts („Wer hat mein Spiel so zerstört?“) bis zu sechs Manndecker auflaufen läßt und auch im heimischen Haberland über den Kampf gegen die Sattheit garantiert hoher Festbezüge anrennt. „Wer nicht mitzieht, fliegt raus“, macht der einst spielende Bayer-Aktivist Front gegen das „verrückte Millionen-Image“. Gegen Waldhof ließ er nach der klaren Führung die alten Hasen Hinterberger und de Kayser auf der Bank und brachte mit Jugend-Nationalspieler Herrlich und Feinbier zwei junge Hüpfer an der Topf der Auflaufprämie.
Nobody Gelsdorf haut nach langen Bayer-Trainerjahren mit Dettmar Cramer und Erich Ribbeck und dem Einakter von Europameister Michels kräftig dazwischen. Glück hatte er, daß Mannheims Damir Buric nach nur 100 Sekunden den Kopf einzog. Andrzes Buncol, der Kleinste auf dem Feld, konnte einen Eckball von Demandt im Fünfmeterraum einnicken. Das geschieht in der Eliteklasse selten.
Vor allem aber wird man sich an die Pfeifentöne des Markus Merk gewöhnen müssen. Der studierende Zahnmediziner mit dem filigranen Auge pfiff nach einem Hecht von Demandt nicht Elfmeter, sonden präsentierte dem Kunstflieger eine gelbe Schwalbenkarte. Und Waldhofs böser Bube Frank Haun war nach einer Stunde geschlagen. Eben zwanzig Minuten im Spiel, durfte er nach seinem ersten Foul die Dusche vorwärmen; Stürmer Lesniak, für den man getrost die Tore abbauen könnte, fuhr er rüde von hinten in die Hacken.
Für Günter Sebert war „nach dieser unmöglichen Entscheidung“ das Spiel gelaufen. Nochmal Buncol (Abseits?) und Demandt nach einem unseligen Befreiungsschlag von Tsionanis über fünf Meter rückwärts-seitwärts entschieden die einseitige Partie, in der Waldhof viel Herz für Bayer offenbarte.
Das haben Leverkusens Fußballfreunde längst nicht entdeckt. Als der Stadionsprecher die offizielle Besucherzahl mit 7.000 angab, fragten nicht wenige: „Wo sind die denn?“ Fußball-Professor Dettmar Cramer fand bereits Anfang der Achtziger eine schlüssige Erklärung für mangelnde Identifkation und gähnend leere Ränge, die selbst nach dem UEFA-Pokalsieg nicht voller wurden: „Wenn ich in der Woche fünf Tage im Werk arbeiten muß, gehe ich doch Samstags nicht auch noch in die Firma.“
LEVERKUSEN: Vollborn - Hörster - Seckler, Alois Reinhardt Fischer (87.Feinbier), Schreier, Kree, Buncol, Knut Reinhardt - Lesniak (82.Herrlich), Demandt
MANNHEIM: Zimmermann - Güttler - Tsionanis, Dickgießer Müller, Buric (36.Haun), Dais, Siebrecht, Schindler - Rudel, Feiler
TORE: 1:0 Buncol (2.), 2:0 Buncol (67.), 3:0 Demandt (74.)
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