: Roma in der Mühle des „Kölner Modells“
Renommierprojekt „freundlicher Zigeunerpolitik“ diente Stadtvätern zur Erfassung und Abschiebung / „Modell„-Paten sollten sich wie Bewährungshelfer verhalten / Gegen Kölns Sozialderzernenten stellen Roma Strafanzeige: persönliche Daten seien illegal an Ausländerbehörde gewandert / Vertrauen zu Ämtern ist zerbrochen ■ Von A.Kieser und Y.Matras
Die Mitarbeiter der Kölner „Zentralen Anlauf- und Beratungsstelle für Ethnische Minderheiten“ nahmen es gelassen, als Mitte August Mitglieder der dortigen Roma -Initiative in ihr Büro eindrangen und es für besetzt erklärten. Eine solche Aktion war zu erwarten gewesen. Hatte doch ihr Chef, der Leiter des Kölner Ausländeramtes wenige Tage zuvor öffentlich die Abschiebung mehrerer Roma-Familien angedroht (die taz berichtete).
Begründet hatte Kappius die Maßnahme mit Personendaten, die die Beratungsstelle in Zusammenarbeit mit dem städtischen Roma-Kinderprojekt heimlich über ihre Klientel gesammelt hatte. Diese Daten sollten belegen, daß die Straftaten von Kindern zugenommen hätten, die pädagogische Hilfe für die betroffenen Roma-Familien also gescheitert und die Stadt daher zur Abschiebung gezwungen sei.
Mit dieser Erklärung geriet das „Kölner Modell“ heftig ins Wanken, das bisher als Paradebeispiel menschenfreundlicher „Zigeunerpolitik“ gelobt und vom Städtetag Ende 1988 anderen bundesdeutschen Kommunen zur Nachahmung ans Herz gelegt wurde. Was sich wohltönend als humanitäres Projekt für Beratung, unbürokratische Einzelfallhilfe und Integration empfohlen hatte, entpuppte sich als Vollzugshilfe für die übergeordnete Abschiebebehörde.
Reporter hinter klauenden Roma-Kindern her
Schon seit Jahren gibt es in Köln zwischen Roma und den städtischen Behörden harte Konflikte. Doch seit Ende 1986 hat sich die Situation zugespitzt. Während früher regelmäßig einzelne Sippen oder Sippenverbände für mehr oder weniger kurze Zeit auf verschiedenen Freiflächen ihr Lager aufschlugen und später weiterzogen, ließen sich im Herbst 1986 mehrere hundert staatenlose Roma auf einem großen Gelände am Stadtrand nieder und stellten bald darauf Aufenthalts- oder Asylanträge. Das Lager am Rande der Stadt wurde zu einer festen Einrichtung; Proteste der AnwohnerInnen blieben nicht aus.
Geschürt wurde die Stimmung gegen die „Zigeuner“ von den Medien, die sich zum Beispiel sensationslüstern an die Fersen von Roma-Kindern hefteten und sie bei ihren Taschendiebereien auf der Domplatte beobachteten und filmten. Eine rigorose Abschiebung der unliebsamen Gäste war aber politisch nicht durchsetzbar, eine Unterstützerbewegung hatte sich bereits formiert.
So bastelten die Stadtväter 1987 das dreiteilige „Kölner Modell“. Erster Pfeiler: eine „Zentrale Anlauf- und Beratungsstelle“ sollte die ausländischen Roma betreuen und beraten. Zweitens: Kindern, die von der Polizei „bei delinquenten Handlungen“ aufgegriffen wurden, wollte man sich in einer gesonderten Einrichtung sozialpädagogisch widmen. Dritte Säule im Modell waren die „Patenschaften“, in denen Gruppen und Einzelpersonen aus kirchlichen und sozial engagierten Kreisen Roma-Familien betreuten und bei ihrer Integration in die Stadt unterstützten. Damit sollte, so das erklärte Ziel der Modellkonzeption, „der Teufelskreis von Armut, Kriminalität und Vertreibung durchbrochen werden“.
Allerdings war von vornherein beschlossene Sache, daß nur eine Minderheit von 100 Roma in Köln bleiben sollte. Daß diese 100 Roma ein Bleiberecht erhielten, hatte die Solidaritätsbewegung allerdings schon durchgesetzt, bevor das „Kölner Modell“ aktuell wurde. Der Rest von ihnen, so die Absicht der Stadtväter, sollte ohne größeres Aufsehen nach und nach abgeschoben werden.
„Die Anonymität der Roma bleibt gewahrt“
Zunächst schien es an dem Projekt wenig Zweifel zu geben. Hatten doch die Kritiker der bisherigen städtischen Roma -Politik selbst eine zentrale Anlaufstelle für die Roma gefordert, um ihnen die aufreibende Rennerei zwischen den Ämtern zu ersparen: Immer wieder gingen Anträge auf dem Behördenweg verloren, niemand fühlte sich so recht zuständig.
Doch die „Anlaufstelle“, gleich neben dem Kölner Schlachthof, hatte von Anfang an einen großen Haken: Sie wurde nämlich der Ausländerbehörde unterstellt, eine heikle Situation für Menschen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen. Die Bedenken der Roma und ihrer UnterstützerInnen wußte man zu zerstreuen. Die Anlaufstelle, hieß es in der offiziellen Funktionsbeschreibung, „wahrt die Anonymität des Klienten“. Sie „vermittelt keine Kenntnisse an die Ausländerstelle des Amtes für öffentliche Ordnung, aufgrund derer dem Klienten Nachteile erwachsen würden.“
Knapp zwei Jahre später waren diese Beteuerungen zur dreisten Unwahrheit geworden. Der Kölner Roma-Initiative wurden nämlich interne Akten zugespielt, aus denen eindeutig hervorgeht, daß die Anlaufstelle eine Fülle von Daten, rund 80 Ordner, über die Roma auf den Kölner Stellplätzen gesammelt hat. Diese Akten wurden nicht anonymisiert, sondern zum großen Teil unter dem Namen der Klienten angelegt. Neben Personendaten wie Namen, Alias-Namen und Geburtsdaten wurden auch die verzweigten Familienstrukturen festgehalten.
So heißt es im Tagesprotokoll einer Sozialarbeiterin beispielsweise: „Frau J., die Schwester von B., ist schwanger und möchte ihr Kind abtreiben lassen. Ich habe ihr in einem Gespräch mit Frau R. und Frau S. eine Woche Zeit gegeben, dies zu erledigen und dann den Platz zu verlassen. Daß ich Frau J. eine weitere Woche auf dem P5 (Stellplatz im Kölner Norden - die Verfasser) dulden werde, habe ich heute telefonisch mit Herrn S. abgeklärt.“ Herr S. ist Leiter der Anlaufstelle. Selbstverständlich wurden die Betroffenen über diese Berichte nicht in Kenntnis gesetzt.
Behörde verschaffte sich
unrechtmäßig Datenzugriff
Aber nicht genug des Datensammelns; solche und ähnliche Informationen wurden direkt an den Leiter der Ausländerbehörde und an die Polizei weitergeleitet. Mindestens in einem Fall half eine Mitarbeiterin der Anlaufstelle der Polizei auch bei der Personenidentifizierung, leistete Amtshilfe bei der Aufklärung von „illegalem Aufenthalt“ und „Erschleichen von Sozialhilfe.“
Sehr spät erst wurde einigen SozialarbeiterInnen bei der Anlaufstelle klar, in welcher Weise sie da der Ausländerbehörde in die Hände gearbeitet hatten. Sie bescheinigen sich selbst heute „ziemliche Naivität“ und konstatieren eine „katastrophale Entwicklung“, die dadurch eingetreten sei, daß die vorgesetzte Behörde Zugriff auf die gesammelten Daten genommen habe. Der Vertrauensbruch zwischen ihnen und den betreuten Roma-Familien ist dadurch allerdings schwerlich zu kitten.
Was die Anlaufstellle nicht direkt über ihre Schützlinge erfuhr, holte sie sich aus dem Roma-Kinderprojekt. Auch dort wurden umfangreiche Ordner mit Daten und Berichten gefüllt, die bei Bedarf auf der „kollegialen Ebene“ weitergeleitet wurden. So heißt es zum Beispiel in einem Vermerk: „Ich bitte daher um interne, vertrauliche Auswertung. Es handelt sich um strafunmündige Kinder“ (hier folgen Namen mehrerer Kinder, Familienzugehörigkeit und weitere persönliche Angaben). Der Vermerk datiert noch aus der Zeit vor jenem Landgerichtsurteil vom Juni '89, mit dem das Roma -Kinderprojekt gezwungen wurde, auf Anfragen der Staatsanwaltschaft die Grunddaten betreuter Kinder und ihrer Eltern weiterzugeben.
Erst nachdem dieses Urteil gefallen war, klingelten bei den PädagogInnen die Alarmglocken: „Darüberhinaus sollten wir uns darüber klar werden, daß wir bei uns eine zentrale Kölner Zigeuner-Kinderkartei führen. Zwar in positiver Absicht, aber können wir für den Schutz dieser Daten garantieren? Aus historischen und grundsätzlichen Gründen ist mir eine solche Datei nicht nur beim Jugendamt mehr als fragwürdig geworden“, stellte ein Mitarbeiter des Kinderprojekts Anfang August erschrocken fest. Und die Leiterin sieht als Konsequenz „nur die Schließung des Projektes“. Denn eine wesentliche Arbeitsvoraussetzung, das Vertrauen, sei entfallen. Versuche, die Datensammlung wieder zu anonymisieren und so für ausländerrechtliche Zwecke unbrauchbar zu machen, wurden bisher von oben abgeblockt.
SPD-Sozialdezernent drängte auf Abschiebung
Der derzeitige Sozialdezernent und zukünftige Oberstadtdirektor Ruschmeier (SPD) hatte zwar den Schutz der Daten zugesichert und versucht, deren Verschiebung zwischen den verschiedenen Roma-Einrichtungen zu vertuschen. Tatsächlich aber reichte nicht nur das ihm unterstehende Kinderprojekt bereits vor jenem Landgerichtsurteil Informationen weiter. Ruschmeier selbst drängte in persönlichen Schreiben an den Leiter der Ausländerbehörde, Kappius, immer wieder auf Abschiebung angeblich krimineller Kinder und ihrer Familien. Unaufgefordert legte er seinem Kollegen in einem Brief genaue Angaben über die beschuldigten Kinder vor und fügte Informationen bei, die im Kinderprojekt über die betroffenen Familien gesammelt worden waren. Sie bildeten später die Grundlage, auf der Ausländeramtschef Kappius die angedrohten Abschiebungen begründete.
Daß die Kölner Verwaltung derzeit so scharf auf die Abschiebung der Roma ist, hat nach Ansicht der Roma-Gruppen wahltaktische Gründe. Am 1.Oktober finden in Nordrhein -Westfalen Kommunalwahlen statt, und die Kölner SPD möchte ihre Mehrheit im Rathaus ausbauen, zumindest aber halten. Da nach Untersuchungen aber auch die SPD bei den Europawahlen Stimmen an die „Republikaner“ verloren hat, soll nun dem rechten Wählerrand Durchgreifen demonstriert werden. Behutsam natürlich, damit auf der linken Seite nicht die WählerInnen weglaufen. So wurden die Abschiebeankündigungen verpackt in Erfolgsmeldungen über die soziale und pädagogische Arbeit mit den Roma.
Doch die Roma-Unterstützergruppen wollen ihre Schützlinge nicht zur Wahlkampf-Manövriermasse verkommen lassen. Sie fordern, daß die städtischen Projekte sofort geschlossen und die Akten vernichtet werden. Gerade auch die Evangelische Kirche fühlt sich vom Sozialdezernenten hintergangen, denn sie hatte sich durch das „Patenschaftsmodell“ eng in die städtische Politik einbinden lassen.
Kirchliche und freie Träger, aber auch Einzelpersonen aus dem Umfeld des Roma-Solidaritätskreises erklärten sich bereit, als „Paten“ bestimmte Roma-Familien finanziell und sozial zu betreuen, mit dem Ziel, „langfristig der Patenfamilie den Zugang zum Wirtschafts-, Sozial- und Bildungssystem in Köln zu öffnen und die Familien gleichzeitig dabei zu unterstützen, ihre eigene Identität zu bewahren oder wiederzuerlangen“. So heißt es in einem städtischen Konzeptpapier.
Paten wollen keine Bewährungshelfer sein
Die Patenschaften mußten zunächst bei der Anlaufstelle beantragt und geprüft werden. Erfolgte die Genehmigung, wurden „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ gegenüber den Patenfamilien zunächst zugunsten einer 6monatigen Duldung aufgehoben. Verlief die Patenschaft „normal“, konnte die Duldung um weitere sechs Monate verlängert werden. Erst danach wollten die Behörden über ein dauerhaftes Bleiberecht für die staatenlosen Roma entscheiden.
Doch nach allem, was geschehen ist, weigern sich die „Paten“, bei diesem, dem Strafrecht entlehnten Bewährungshelfermodell länger mitzutun. Von grobem Vertrauensbruch der Behörden ist die Rede, von Datenmißbrauch, von einer Neuauflage der faschistischen „Landfahrerzentrale“, für die die Unterstützergruppen nicht mehr als Helfershelfer fungieren wollen. Statt dessen ist man zu den ursprünglichen Forderungen zurückgekehrt: Bleiberecht für alle Roma, Auflösung der ghettoartigen „Stellplätze“, fester Wohnraum für die Betroffenen.
Das „Kölner Modell“, einst zur Nachahmung empfohlen, hat seinen Kredit verspielt. In anderen Städten wie Bochum und Hamburg gibt es bereits Widerstand dagegen. In Hamburg hat sich nämlich vor einiger Zeit das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche für eine Übernahme des Modells stark gemacht. Einen entsprechenden Antrag gab der Hamburger Senat an die Kirchenleute weiter, nachdem Roma sich in einem Hungerstreik gegen die Abschiebung einer Familie gewehrt hatten (die taz berichtete).
Statt „Abschiebemodell“
fordern Roma Bleiberecht
Doch von einer solchen Lösung will die „Roma&Cinti Union“ in Hamburg nichts wissen. Sie hält nämlich ein Schreiben an die Hamburger Innenbehörde in den Händen. Absender: Die Kölner Anlaufstelle. Darin schildert sie ihre guten Erfahrungen mit der „fairen Chancenberatung“ in ihrer Einrichtung. Und die beigefügte „Zwischenbilanz“ der städtischen Roma-Politik macht deutlich, was darunter zu verstehen ist: „Weil angesichts der oft erheblich unterschiedlichen Lebensgewohnheiten nur einer sehr begrenzten Zahl anreisender Zigeuner eine erfolgreiche Integrationshilfe in der Stadt angeboten werden kann, ist es ein Gebot der Fairneß, die beschränkte Aufnahmemöglichkeit unmißverständlich zu verdeutlichen, um falsche Hoffnungen zu verhindern.“
Köln ist es damit gelungen, im Laufe der Jahre Hunderte von Roma aus dem Stadtgebiet zu vertreiben. Auf diese Art Fairneß legen die Hamburger Gruppen keinen Wert. Sie fordern für die rund 6.000 heimatlosen, illegal in der Bundesrepublik lebenden Roma endlich das Bleiberecht. Diese Forderung soll in den nächsten Wochen in Aktionen und Gesprächen mit staatlichen Behörden durchgesetzt werden. Was soziale Hilfe betrifft, verlangt die Roma&Cinti Union statt des Kölner Erfassungs- und Abschiebemodells ein Selbsthilfeprojekt.
Inzwischen haben Vertreter des „Roma-Forums“ in der Bundesrepublik und der Roma e.V.Köln Strafanzeige gegen den Kölner Sozialdezernenten und designierten Oberstadtdirektor Ruschmeier gestellt: wegen Bruch des Sozialdatenschutzes.
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