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„Deutsche wie wir“ - „Grüßgott in der BRD“

Kritik an „Zeltstädten“ / Streit um Unterbringung / Sozialministerium versucht zu beruhigen: keine Wohnungen werden beschlagnahmt / Anonyme Bombendrohung gegen Auffanglager / Waffenschmidt will DDR-Flüchtlinge „menschenwürdig“ in Grenzschutz-Kasernen unterbringen  ■  Aus Passau Luitgard Koch

Die groß angekündigten bayerischen „Zeltstädte“ für die DDR -Flüchtlinge stehen. Doch ob im niederbayerischen Vilshofen oder im oberbayerischen Freilassing, die Kritik an den mit ungeheurem Aufwand erichteten Lagern wird immer lauter. Durch den pausenlosen Regen am Wochenende sammelt sich in den Zelten das Wasser. Mit Lattenrosten wird der nasse Boden notdürftig abgedeckt, provisorische Abwässerkanäle werden errichtet. In Akkordarbeit werden die bereits verteilten Schlafsäcke und Decken in Mülltüten wieder „trockengelegt“.

„Diese Lösung wurde vom Bonner Innenministerium angeordnet“, wehrt sich Bayerns Sozialminister, Gebhard Glück. Von Anfang an sei es die Vorstellung Bayerns gewesen, auch die nur zwei bis drei Tage dauernde Erstaufnahme in festen Unterkünften vorzunehmen. Außerdem sei die Unterbringung in den Zeltstädten nur für das „Registrierverfahren“ gedacht. Auf keinen Fall dürfe der Eindruck entstehen, die DDR-Flüchtlinge sollten dort länger hausen müssen. Nach dieser „Erstaufnahme“ werde eine sogenannte „vorläufige Unterbringung“ eingeleitet, und zwar in den Räumen der Universität Passau sowie in der Durchgangsstelle Nürnberg.

„Mir ist das Wichtigste, daß die Menschen menschenwürdig untergebracht werden“, lenkt jedoch der Staatssekretär, Horst Waffenschmidt aus dem Bonner Innenministerium überraschend ein, nachdem der Politiker vor Ort durch den knöcheltiefen Schlamm stapfen mußte. Unter dem Eindruck der Witterungsverhältnisse sollen die DDR-Flüchtlinge nun doch in feste Unterkünfte kommen. In den Kaserenen des Bundesgrenzschutzes in Deggendorf und in Grafenwöhr würden rund 6.000 Plätze fertiggemacht.

Vor allem in der Drei-Flüsse-Stadt Passau ist das Unverständnis über die „Zeltstädte“ groß. Bereits zu Beginn der Aktion fragten sich die Passauer, warum nicht die leerstehende Nibelungenhalle oder die Niederbayernhalle im nahegelegenen Ruhstorf benutzt wird. Auch die Unterbringung in der Passauer Uni schien vielen geeigneter als die Auffanglager. „Wir haben den Auftrag gehabt, Plätze für Zeltstädte zu suchen, verteidigt sich auch Regierungsdirektor Klaus Wimmer aus dem Landratsamt. Der Eindruck einer großangelegten Katastrophenübung drängt sich auf. Inzwischen überlegen sich die Herren aus Bonn, bereits in den Lagern Psychologen einzusetzen, um dem Lagerkoller vorzubeugen.

Aber noch ein anderes Problem macht den bayerischen Behörden zu schaffen. Seit der Meldung aus Berlin, daß die Steglitzer Sozialstadträtin, Gabriele Witt, schon leerstehende Wohnungen beschlagnahmen lassen will, herrscht im bayerischen Sozialministerium helle Aufregung. Blitzschnell und „in aller Deutlichkeit“ verwahrt sich Sozialminister Glück „in Übereinstimmung mit dem Innenministerium“ dagegen. In Bayern komme eine solche Beschlagnahme nicht in Frage.

Aber in den Köpfen der Bevölkerung ist diese Angst schon lebendig noch bevor eines der Flüchtlingszelte errichtet war. „In fünf Jahr‘, da bin i sicher, muß a jeder von uns Flüchtling‘ aufnehma. Für den jungen Wirtssohn, Sepp Knott, aus Jacking bei Passau steht das bereits fest.

„Das ist tragisch und schade“, der Leiter des Deutschen Roten Kreuzes in München, Frank, ist entsetzt. Die Nachricht, daß im Lager Tiefenbach in der Nacht vom Samstag auf Sonntag eine anonyme Bombendrohung gegen die fünf Zeltstädte einging, ist ihm neu. Doch da die Beamten des Bundesgrenzschutzes ja „überall beteiligt“ seien, ist er trotzdem beruhigt.

Im Hutthurmer Wirtshaus „Zum Goldenen Hirschen“ freilich kennt der Stammtisch an diesem Feierabend nur ein Thema: die DDR-Flüchtlinge. „Des is guad für'n Fremdenverkehr“, spekuliert ein junger blonder Mann. Die Erwähnung Hutthurms in den Medien, das kann nur Gewinn bedeuten. Und auch von den Flüchtlingen selbst verspricht sich mancher einiges. „Der Gastinger-Wirt hod g'sagt, er vermiet‘ seine drei Zimmer-Wohnung an a DDR-Familie, na kriagt a 50.000 Mark“, erzählt einer der Stammtischbrüder. „Und wenn a Konditor dabei is, stellt an glei ein.“

Für die „erste Bekanntschaft mit Bayern“ sorgen in den vergangenen Tagen zwei rührige Passauer Studenten: Bier und die druckfrische erzkonservative 'Passauer neue Presse‘ (PNP) drücken sie den DDR-Flüchtlingen auf dem Passauer Bahnhof in die Hand. „Begierig nehmen die DDR-Flüchtlinge unsere Zeitung in die Hand, um sich umfassend zu informieren“, so die Bildunterschrift in der 'PNP‘.

Rund 200 DDR-Flüchtlinge kommen täglich mit dem Express aus Wien, um nach einer halben Stunde Aufenthalt in Passau ins Lager Gießen weiterzufahren. „Bei uns wern's ja nur gefüttert und getränkt, ääh, so zynisch wollt‘ ich's nicht sagen“, meint der Vorsteher des Passauer Bahnhofs Negerle. Ansonsten: „Gewehr bei Fuß warten wir auf den Tag X“, verrät er. Aber auch über den Tag X hinaus wird bereits spekuliert: „Wenn die alle kemma, könna die da drüb'n nix mehr produzier'n und dann kemma die Mauer abreiß'n“.

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