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Kleine Geschäfte

■ Vor dem Kino in Venedig: ZDF, Lockenkopf, kluger Kopf und Arno Widmann Sie warten und reden, unser Korrespondent schweigt und hört zu

Die großen Geschäfte werden in Cannes gemacht. Sagen die, die es wissen müssen. Venedig ist als Markt nicht wichtig. Hier wird Kunst gezeigt. Sagen die Statuten des Festivals.

Gestern am Kinoeingang. Einlaß ist immer erst ein paar Minuten vor Beginn der Vorstellung. Die Presseleute stehen also in Trauben und warten und reden.

Der Filmkritiker einer Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt, kommt mit einem Mann Anfang dreißig auf den Eingang zu, begrüßt einen grauen Lockenkopf, der seine Brille an einer Schnur hinter den Ohren festgebunden hat, und stellt die Herren einander vor.

Der Mann Anfang dreißig gibt sich nach einigem Hin und Her als der Mann zu erkennen, der Spielfilme für das ZDF kauft.

„Da haben Sie ja eine große Verantwortung“, meint der graue Lockenkopf, der für eine große Tageszeitung in Süddeutschland arbeitet.

Der Mann vom ZDF lacht: „Ja, ja, so kann man es sehen.“

Der Belieferer der klugen Köpfe nickt bedächtig und meint: „Daß er auch noch den Ratschlag für Kinogänger macht, hat er ganz zu sagen vergessen.“

ZDF: „Ja, ja, zusammen mit XXX. Es ist eine schöne Aufgabe.“

Der kluge Kopf: „Ich erwähne es ja nur, weil es mir zu Kostbrot verhilft.“ Er ist angezogen, als käme er frisch aus Karl-Marx-Stadt, und hat in der Stimme den prätentiösen Klang eines Menschen, der jeden Morgen aufwacht und sich freut, daß er es so weit gebracht hat. Immerhin also kein Morgenmuffel.

Lockenkopf: „Kostbrot?“ Nur ein Wort, aber es ist klar: Er ist empört. Der kluge Kopf streicht mehr, viel mehr ein als er. Die Welt ist ungerecht. Die Tränensäcke des Lockenkopfes sinken hinunter bis neben die Nasenlöcher.

„Kostbrot, habe ich gesagt. Nicht Geld. Es macht Spaß“, erklärt sich der kluge Kopf.

„Wieviele Leute machen denn den Ratschlag?“ fragt der Lockenkopf.

ZDF: „XXX und ich.“

Der kluge Kopf: „Nein, er meint, wieviel freie Mitarbeiter gibt es.“ Der Lockenkopf nickt glücklich, fühlt sich verstanden.

ZDF: „Naja, es gibt jetzt etwa 36 Sendungen im Jahr. Jeder kommt drei-, viermal dran. Also etwa zehn Leute.“

Lockenkopf: „Kann man selbst Vorschläge machen, oder bekommt man vorgeschrieben, was man besprechen muß?“

Der kluge Kopf: „Bei mir hat sich das getroffen. Er rief mich an, ob ich nicht Lust hätte, Woody Allen zu besprechen. Ich hatte den Film gerade gesehen, war hingerissen. Das traf sich schön.“

„Anfang Oktober ist er wieder dran“, lächelt das ZDF dem klugen Kopf zu, der blickt hold auf den Lockenkopf, der jetzt seine Brille auch noch mit den Händen festhält.

„Und was steht auf dem Programm?“

ZDF und kluger Kopf fast im Chor: „Wir wissen es noch nicht.“

Lockenkopf: „Das wird also kurzfristig entschieden.“ Er schüttelt traurig den Kopf. Dann rückt er die Brille zurecht, blickt in die Gegend und fragt: „Kann man sich für den Ratschlag bewerben oder wird einem das aufs Auge gedrückt?“

Die Antwort werde ich nie erfahren, und auch der Lockenkopf bekam sie - jedenfalls in diesem Augenblick - nicht. Wir wurden ins Kino gelassen. Es gibt Koma von Nijole Adomenajte und Boris Gorlov, ein Film über ein Frauenlager in der stalinistischen Sowjetunion.

A.W.

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