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„Die Männer halten die Peinlichkeit aus“

Ein Jahr nach dem Quotenbeschluß sind die SPD-Frauen mit der Umsetzung zufrieden / Aber Beispiel NRW: Männer sträuben sich gegen Karriereverzicht / In Justiz und Verwaltung: Neues Bewußtsein, alte Praxis  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Unsere Bilanz ist uneingeschränkt positiv.“ Ein Jahr nach dem sogenannten Quotenbeschluß der SPD zeigte sich die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Frauen, Inge Wettig -Danielmeier, gestern vollauf zufrieden mit ihrer Partei. Im August vergangenen Jahres hatte der Münsteraner Parteitag beschlossen: 1990 müssen Frauen 25 Prozent der SPD -Wahlmandate innehaben, 1998 dann 40 Prozent. Für die Parteiämter gilt die 40-Prozent-Quote bereits 1994. In nahezu allen Landes- und Bezirksvorständen seien die Beschlüsse bereits jetzt umgesetzt, resümierte Inge Wettig -Danielmeier, und auch in den Landtagsfraktionen von Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Für die kommende Wahlserie auf Landes- und Bundesebene gelte: „Sozialdemokratische Regierungen mit ein oder zwei Ministerinnen sind nicht mehr vorstellbar.“

Getrübt wird das Bild durch die Männer-Bastion Nordrhein -Westfalen. Die Landtagsfraktion der SPD hat bisher einen Frauenanteil von nur acht Prozent, und eine Erhöhung auf die satzungsmäßig vorgeschriebenen 25 Prozent können die SPD -Männer unter Ausnutzung des dortigen Wahlrechts verhindern: Die meisten Kandidaten werden direkt gewählt, und in den Ein -Personen-Wahlkreisen denken die Statthalter nicht daran abzutreten. Die SPD-Frauen fordern deshalb eine Reform dieses Wahlrechts.

Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt: „Die konsequente Umsetzung der Quotierung bedeutet den aktiven Karriereverzicht für viele Männer.“ So formulierte es gestern Britta Naumann, Mitglied im DGB-Frauenausschuß, und appellierte an ihre Geschlechtsgenossinnen, dabei „nicht allzu viel Mitleid zu inszenieren“. Auch im DGB soll die bisherige Soll-Quote durch eine Muß-Vorschrift ersetzt werden.

Daß der Quotenbeschluß der ersten Altpartei - die Grünen waren da Vorreiter - zwar ein wenig das Bewußtsein verändert hat, aber meist nicht die gesellschaftliche Praxis, dokumentiert vor allem der Bereich Justiz. Lore Maria Peschel-Gutzeit, Vorsitzende Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht: „Es ist peinlicher geworden, Posten nur mit Männern zu besetzen, aber diese Peinlichkeit halten die meisten Männer aus.“ Die Hamburger Richtlinie zur Frauenförderung, bereits seit fünf Jahren in Kraft, werde von der Justiz „praktisch nicht zur Kenntnis genommen“. Ohne ein präzises Gleichstellungsgesetz werde sich nichts ändern.

Ob Richtlinie oder Gesetz, die Justiz wehrt sich nicht nur als Berufszweig, sondern auch in ihrer Rechtsprechung gegen den Frauen-Fortschritt. In Nordrhein-Westfalen klagte ein betroffener Lehrer bereits erfolgreich gegen die Frauen -Förderung. Und sitzen Frauen einmal in den angestrebten Führungspositionen, kann es ihnen so ergehen wie der Leverkusener Polizeipräsidentin Gertrud Bergkamper-Marks: Nach eineinhalb Jahren Amtszeit heißt sie auf Türschild und Briefkopf immer noch „der Polizeipräsident“.

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