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Gentechnische Produktion auf dem Prüfstand

Erste Erörterung zur Genehmigung einer gentechnischen Produktionsanlage / Hoechst-Tochter Behringwerke will Blutbildungshormon produzieren / Ärztin weist auf gefährliche Nebenwirkungen hin / EinwenderInnen kritisieren mangelnde Vorprüfung  ■  Aus Marburg Thomas Rahner

„Die Natur ist uns Ursprung und Vorbild zugleich“, meinte unter dem Gelächter der anwesenden EinwenderInnen der Sprecher der Marburger Behringwerke, Dr. Johannsen, zu Beginn des ersten bundesdeutschen gentechnischen Erörterungstermins. Vor etwa 150 EinwenderInnen begann am Dienstag im Audimax der Uni Marburg die auf zwei Tage angesetzte Erörterung für die gentechnische Produktionsanlage des Blutbildungshormons Erythropoietin (EPO) durch die Behringwerke in Marburg. Die zum Hoechst -Konzern gehörende Firma will durch die fabrikmäßige Herstellung des EPO ein Medikament für nierenkranke Menschen herstellen, das parallel zu einer Dialysebehandlung verabreicht werden und die Bildung roter Blutkörperchen fördern soll. Den Kranken sollen damit Bluttransfusionen erspart werden. Insgesamt 2.000 Personen hatten schriftlich Bedenken gegen diese Produktionsanlage geäußert.

Für Unmut der GegnerInnen sorgte gleich zu Beginn der Erörterung die Entscheidung des Verhandlungsleiters Spöhrer vom Regierungspräsidium in Gießen, die Öffentlichkeit nicht zuzulassen und nur EinwenderInnen sowie der Presse den Zutritt zu gestatten.

Heftige Debatten löste auch die Anwesenheit eines von der Behörde beauftragten und von Behring bezahlten privaten Sicherheitsdienstes aus. Der Einschätzung von Irene Soltwedel, Landtagsabgeordnete der Grünen für den Wahlkreis Marburg, die Behörde habe statt der Polizei eine „zuverlässige Schutztruppe“ aufgeboten, wurde vom Verhandlungsleiter nicht widersprochen.

Die 20 Mann starke Expertengruppe der Behringwerke zeigte sich ungerührt von Gegenargumenten zur Sicherheit oder Notwendigkeit von EPO. So wies die Marburger Ärztin Marina Steindor auf zahlreiche mögliche Nebenwirkungen von EPO hin, die von Grippe bis zur Gefahr von Leukämie und Epilepsie reichen kann. Ferner könne, so Steindor, die Wirksamkeitsprüfung des gentechnischen Medikamentes nur am Menschen und nicht im Tierversuch vorgenommen werden - für sie eine klare Form von Menschenversuchen.

Die Gentechnik-Fachfrau Regine Kollek vom Öko-Institut ließ kein gutes Haar an den von Behring vorgelegten Antragsunterlagen. Für sie haben keine ausreichenden Vorprüfungen stattgefunden. So „zeigen die meisten der vorgelegten Untersuchungen konzeptionelle Defizite und Fehler“. Ferner sei über die genetische Abstammung der Ursprungszelle für die EPO-Produktion, die vor 13 Jahren dem Brustkrebs einer Maus entnommen wurde, zu wenig bekannt. Über den „worst case“ - dem unkontrollierten Entweichen und Ausbreiten von gentechnisch veränderten Zellkulturen - habe sich Behring erst gar keine Gedanken gemacht. Vor dem Hintergrund, daß dies eine völlig neuartige Produktionsanlage sei, könne sie diese Versäumnisse nicht verstehen.

Trotz alledem erwarten die Behringvertreter ausdrücklich, daß die neue Produktionsanlage nach Abschluß der Erörterung problemlos vom Regierungspräsidenten genehmigt wird. Die beteiligten Fachbehörden - vom Gewerbeaufsichtsamt bis zur Hessischen Landesanstalt für Umwelt - scheuen sich nicht, ihre mangelnde Sachkompetenz zu den gentechnischen Spezialfragen zuzugeben.

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