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Altamira am Dobben

■ Höhlenmalerei mit Marx und Sankt Sebastian / Bilderlesen als Ritual

Für sechs Wochen hat sich die Galerie El Patio in eine Höhlenmalerhöhle verwandelt. Sonst blütenweiße Rauhfaser bedeckt nun Erdenmatsch aus Spanien, Portugal und Bremen, letzterer dunkel und sandhaltig. Darauf die Tintenzeichnungen des 41jährigen Carlos Capelan, der aus Uruguay stammt und seit zehn Jahren in Schweden lebt. Der ganze Raum ist eine „subjektive Skulptur“, wie der Maler es bezeichnet. Verteilt stehen „Skulpturen“ aus dickleibigen Bänden (u.a. Marx-Engels), von Wackersteinen beschwert. Mit dem Wort hat Cape

lan ein Problem: „Das Wort hat in der Kultur geputscht. Wir verlieren das Bild, dessen Macht 40.000 Jahre alt ist.“ Und also streicht Capelan das Wort, streicht es in der Bibel und streicht es in einem Buch über die Inquisition, streicht es in wissenschaftlichen Elaboraten und Handbüchern, akribisch, bis zur Unkenntlichkeit. Und übermalt es mit seinen Figuren. Eingerollte Foeten, kopflose Körper, schwangere Männerköpfe, heilige Sebastiane. Sankt Sebastian ist ein zentrales Motiv Capelans, der, Kind kommunistischer Eltern, von der Notwendigkeit der Bibel überzeugt ist. Und sei es zum Wörtertilgen. Sebastian, lasziv gelehnt und von Pfeilen vielfach durchbohrt: seine Wunden sind ambivalent, sind zugleich Öffnung nach innen und außen. Perforation erlaubt Durchblick.Capelan liebt es, Löcher in seine Bilder zu brennen. Wunden als Augen finden wir auf allen Objekten und Bildern, sogar auf der One-Dollar-Bill im Freimaurersymbol. Augenwunden: Dialektik der Verletzung. Capelan: „Ich habe keine Angst vor Schmerz.“

Nun gibt es im El Patio auch ganz konventionell gerahmte und gehängte Bilder zu sehen. Doch typischer für Capelan sind seine

„entkernten“ Bücher vom Trödel, in die er seine hermetischen Zeichnungen montiert: in einer rituellen Aktion entfaltet er seine meterlangen Bildgeschichten, um sparsame Erläuterungen zu geben und schnell alles wieder einzupacken. Den BesucherInnen werden Handschuhe zur Verfügung gestellt.

Blasphemie? Die mit den Metaphern von Geburt und Tod bedeckten Gebetbücher, Alte Testamente und Johannesepisteln erregten in Frankreich und Schweden konservative Gemüter, in Latinoländern nicht. Capelans Verhältnis zum Wort ist nicht ironisch und nicht denunziativ: Er benutzt die (historische) Kraft der Texte, um seine Installationen aufzuladen und so „den Bildern die Macht zurückzugeben“. Capelan verliert darüber nicht ein selbstkritisches Verhältnis zu seiner Produktion, er übt „Bescheidenheit“: Seine Höhlenbilder wollte er ausdrücklich auf die Wand malen, wissend, daß die - zum Schmerz der GaleristInnen nach sechs Wochen geweißelt werden muß. Ars longa vita brevis? Capelan setzt ausdrücklich auf Leben. (Eröffnung mit Künstler am Freitag, 20.00 Uhr, Am Dobben 58) Burkhard Straßman

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