TILT UND ZACK

■ Riki von Falken und Christina Ciupke im „Tanzart“

Ein großes Energiefeld zieht sich zu einem kleinen pulsierenden Punkt zusammen. Bewegungsimpulse, die zuerst nach außen in alle Richtungen dringen, konzentrieren sich in einer Form. Dies Erlebnis der Verdichtung ist der Choreographie von Riki von Falken und der strukturierten Improvisation von Christina Ciupke gemein.

Christina geht von den alltäglichen Erfahrungen der Differenz zwischen dem öffentlichen und dem privaten Körper aus. Der erste Satz ihrer dreiteiligen Komposition charakterisiert das Verhalten eines Körpers in der Menge: aggressive Selbstbehauptung. Im Zickzack jagt sie durch den Raum, schaufelt ihn in sich hinein, vernichtet den Weg vor sich. Sie nimmt die Umgebung nur als Hindernis wahr, dem es auszuweichen gilt, und nutzt den eigenen Körper als Instrument der Raumbewältigung. Im zweiten Teil dagegen stellt sie den Leib aus: da gleicht sie den peitschenschwingenden Ladies aus 007. Ihr Blick fordert heraus, in einer sexualisierten Körpersprache führt sie das Schauspiel der gerade noch gebändigten Leidenschaft auf. Ohne Maske und Rolle versucht sie am Ende, sich des eigenen Körpers bewußt zu werden und aus sich heraus eine Balance zu finden.

Während Christinas Tanz wie eine digitale Leuchtanzeige pulsiert, entwickelt Riki eine kalligraphische Folge. Sie beginnt highspeed: in Schüben dreht, läuft und springt sie auf einer Diagonalen nach vorne, schneidet diese Linie durch die Wiederholung immer intensiver in den Raum hinein, rennt zurück an den Anfang, baut sich auf, beginnt von neuem. Dann probt sie die Spannung zwischen einem Spiel kleiner kurzer Bewegungen und einem zeitlupenhaft zerdehnten Wachsen in den Raum hinein. Mit schnellen und präzisen Richtungswechseln tilt aus der Hüfte und zack! schwingt sie sich in eine andere Diagonale - überzieht sie danach den Boden mit einem Netz von Schritten, zersplittert das eben noch ruhige Bild in kleine Partikel.

Suggeriert die musikalische Kulisse dabei anfangs einen städtisch angespannten Alltag mit vibrierendem Maschinen -Sound, so versetzt die Musik des zweiten Teils mehr in eine archaische, weite Landschaft. Die vorher harten Linien der Raumergreifung schmelzen jetzt. Die Tänzerin geht vornübergeneigt, als müßte sie eine widerständige Materie überwinden. Ihre Bewegungen werden zu behüteten Gesten, erreichen eine fast magische Qualität. Sie sinkt, sich selbst in ihrer physischen Präsenz zurücknehmend, in den Boden und läßt sich von Dunkelheit verschlucken.

Dabei rieselt während des ganzen Stückes Sand aus einem angestochenen Sack in eine Papiertüte, archaisches Instrument der Zeitmessung. In der Musik wechseln imaginäre Orte und Landschaften, der stetige Fluß des Sandes verschmilzt alles zu einem umfassenden und beruhigenden Kontinuum.

Wenn Tanzkünstler von Energie sprechen und sie beinahe auf einen sakralen Sockel heben, verstehen Außenstehende oft überhaupt nichts. Es entspricht Freudscher Logik, daß gerade sie, die ständig Raubbau am eigenen Körper betreiben, von ihrer Energie wie von einem rohen Ei reden. Ökonomische und ökologische Energiekrisen haben mit dem Schock über die Endlichkeit der Rohstoffe zu einer Hochkonjunktur des Energiebegriffs geführt. Auch in der Tanzsprache wurde er zentral, wenn es um die Beschreibung des Körpers ging. Wunsch und Anspruch der TänzerInnen ist es, mit den körpereigenen Ressourcen nun behutsamer und sensibler zu wirtschaften als die wahnsinnige Welt.

In diesem Sinne setzen Christina Ciupke und Riki von Falken ihre unterschiedlichen tänzerischen Techniken ein, um Zuständen der Ruhe und Verausgabung ein klares Profil zu verleihen und um Herkunft, Richtung und Verschwinden von Bewegungsimpulsen genau zu verfolgen.

Katrin Bettina Müller

Soli, choreographiert und getanzt von Christina Ciupke und Riki von Falken, im „Tanzart“, Hasenheide 54, 8./9./10. und 15./16./17.10., um 21 Uhr.