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Windjammer auf Friedens-Kurs

■ 19 Stuhrer „Volksdiplomaten“ auf Segeltörn zur Partnerstadt nach Riga

Schlimmste Befürchtungen waren laut geworden, als günstige Winde die „Fortuna“ zwei Tage früher als geplant in sowjetische Hoheitsgewässer schipperten. Doch allen Unkenrufen zum Trotz wurde die Besatzung nicht von U-Booten flankiert, nicht an den Haken genommen und nach Sibirien verschleppt. Der stattliche Zweimaster, der unter vollen Segeln und mit überdimensiona

ler Friedenstaube an der Fock in die Rigaer Bucht einlief, wurde zunächst ignoriert, dann durch militärisches Sperrgebiet gelotst und später aufs herzlichste begrüßt. Einen solch unaufgeregten Empfang in der Fremde hatten die 22 Schiffsinsassen zwar erhofft, aber nicht erwartet.

Eine knappe Woche zuvor waren neunzehn „Volksdiplomaten“ aus der Gemeinde Stuhr in Kiel an Bord der „Fortuna“ gegangen. Ihr Ziel: die lettische Ortschaft Sigulda nahe Riga. Stuhr und Sigulda sind die ersten kleinen Gemeinden der Bundesrepublik und der Sowjetunion, die einen kommunalen Partnerschaftsvertag abgeschlossen haben. „Eines Tages wird ein großes Segelschiff die Daugava hinauffahren. Es wird auf ihren Segeln nicht Kreuz und Schwert tragen, sondern eine Friedenstaube und sie soll Partnerschaft und Frieden bringen“, so hatten Stuhrer „Volksdiplomaten“ angesichts ihres ersten Besuches in Sigulda im Jahre 1985 geträumt. Erfahren hatten sie da von der ehemaligen Kreuzritterburg Turaida, die im 11. und 12. Jahrhundert von „christlichen Vorfahren“ brandschatzend heimgesucht wurde. Damals war die Gegendvon Kreuzfahrern aus Loccum, Segeberg, Bremen und Buxhövden unter Führung des Bremer Bischofs Albert I mit Krieg und Mord überzogen worden.

Die „Volksdiplomaten“, deren erklärtes Anliegen es ist, durch Begegnungen und Kontakte Feindbilder abzubauen, realisierten ihren damaligen Traum - und verbanden ihn mit einer ökologischen Mission. „Sinnvollerweise“, so Alexandre Peruzzo und Georg Gerdes, „mußten wir eine Reiseform wählen, die ökologisch verträglich ist, eben eine Segelreise“. Anlaß auch für die TeilnehmerInnen, die den Besuch der Partnerstadt aus eigener Ta

sche finanzierten, auf den bedrohlichen Zustand der Ostsee hinzuweisen. „Wir haben überall daran erinnert“, sagt Georg Gerdes, „daß die Mittel zur Sanierung der Ostsee nur deshalb nicht zur Verfügung stehen, weil alle 7 Anrainerstaaten zu viel Geld für die Rüstung ausgeben“.

Mit welcher Sorglosigkeit die Verschmutzung des Binnenmeeres betrieben wird, erfuhren die Friedens-Segler vor der schwedischen Insel Bornholm. Mitten im Segelhafen gluckste und sprudelte das Wasser. „Da kam richtig schwarze Brühe, reine Gülle raus. Das stank so bestialisch, daß wir schnell geflüchtet sind“, erzählt Peruzzo. Bei seiner offiziellen Begrüßungsansprache in Sigulda hat er mit den diesbezüglichen Ostsee-Erfahrungen nicht hinterm Berg gehalten. „Die Ostsee ist gekippt. In Höhe der lettischen Chemiewerke von Ventspils sind Grund- und Trinkwasser von Giften bedroht, die ge

samte Ostsee besteht zunehmend aus dem Schlamm der Kläranlagen und aus Schiffsrümpfen. Es war teilweise eine Fahrt wie über eine gefährliche Sondermülldeponie. Wir haben in den vielen Flauten keinen Fisch angeln können und keine Möwe gesehen.“ Zwischen Gotland und Riga sind sie einige hundert Seemeilen auf einem Ölfilm gefahren, bei wenig Wind tauchten im Nu flächendeckende Quallen- und Algenteppiche auf.

Ob so viel umweltpolitisches Engagement allerdings bei den Gastgebern auf ungeteilte Gegenliebe gestoßen ist, wissen auch die Stuhrer nicht. Bei ihrem ersten Landgang in Riga fragte ein Zollbeamter gespannt und neugierig, ob denn auch einer von der CDU dabei ist. Dem war zu seiner Enttäuschung nicht so und von den ersatzweise angebotenen Grünen wollte er nichts wissen: „Die haben wir selber hier.“

Andreas Hoetzel

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