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S.T.E.R.N. soll in Tiergarten aufgehen

■ Bausenator Nagel will die „behutsame Stadterneuerung“ der Altbauplanungsgesellschaft S.T.E.R.N. von SO36 nach Tiergarten exportieren / Mangelnde Verkehrsberuhigung, schlecht beheizte Bruchbuden und fehlende KiTas prägen das Bild des Bezirks

„Nagel kann nicht der Öffentlichkeit die schicken Blumenbeete der Bundesgartenschau präsentieren und drei Schritte weiter ist die South Bronx“, meint Ulli Hellweg von der IBA-Nachfolgegesellschaft S.T.E.R.N.. Bausenator Nagel (SPD) trat sein Amt mit dem festen Willen an, die behutsame Stadterneuerung von SO36 in die übrige Innenstadt zu exportieren. Und Tiergarten bietet sich da an. Denn der Bezirk, vor allem der Norden, avancierte zum Armenhaus Berlins.

In Tiergarten gibt es die höchste Säuglings- und Kindersterblichkeit von ganz Berlin, die höchste Rate von TBC und Krebs und die meisten tödlichen Unfälle auf der Straße, stellte 'Zitty‘ letztes Jahr fest. Dies alles hat mit schlechten Wohnungen, fehlenden Kindertagesstätten und geringer Verkehrsberuhigung zu tun. Schlecht beheizte Bruchbuden prägen das Stadtbild, vor allem an der Lehrter Straße, wo wegen der jahrzehntelang geplanten Westtangente kein Schlag mehr an den verfallenden Altbauten getan wurde. „Hier gibt es nur das Elend, ohne das pittoreske Flair, das Kreuzberg hat“, meint Thomas R. aus dem Kiez südlich der Quitzowstraße.

Dort, im Stephankiez und an der Lehrter Straße, soll S.T.E.R.N. arbeiten - wenn es nach Nagel geht, und zwar ähnlich wie in SO36, in dem S.T.E.R.N., beziehungsweise die IBA - seit 1980 unter anderem 5.000 Altbauwohnungen und 20 Gewerbehöfe erneuert, 24 KiTas gebaut und zehn Schulen erweitert (und massenhaft preiswerten wohnraum vernichtet. aber wen interessiert das schon. s.t.e.r.n. jedenfalls nicht. sezza). Freilich zog das Kreuzberger Bauamt 140 Millionen Mark Sanierungsmittel jährlich an Land - in Tiergarten waren es mal gerade 20 Millionen. Und nicht nur daran fehlt es: „In Tiergarten Nord ist für nächstes Jahr keine KiTa und keine Schule vorgesehen“, sagt S.T.E.R.N. -Mitarbeiter van Geisten.

Das ungefragte Tiergartener Bezirksamt freilich fühlt sich überfahren und ungerecht beurteilt. „Unser Stadtplanungsamt hat nur 17 Leute, das Kreuzberger hat über dreißig“, heißt es dort. Es sei nicht einzusehen, sich einen teuren Privatträger zu leisten, der parallel zur Verwaltung arbeite und sich aus der Stadtplanung die Rosinen herauspicke. „S.T.E.R.N. macht die Planung, sucht Architekten aus, vergibt Gutachten, organisiert die Durchführung, wägt die Mieterinteressen ab und kontrolliert die Kosten, ist aber selber nicht mehr kontrollierbar.“ Bedenken hat man auch in den Stadtteilgremien. Man diskutiere seit Jahren mit den Bürgern über Blockkonzepte, meint Linda Chajmovic vom Stadtteilverein Tiergarten und hoffe nun, daß nicht S.T.E.R.N. mit seinem Fachwissen alles wieder umwerfe.

Gerade die Initiativen habe man in Kreuzberg unterstützt, meint Hellweg: „Wir legen jedes Jahr einen Bericht vor, welche Verwaltung macht das denn?“ Man sei nicht der „Batman der Stadterneuerung“. Man werde ein Vorortbüro mit vier, fünf Leuten haben, auch einige aus Tiergarten einstellen. Ihr Ansatz, quer durch alle Aufgabenbereiche und mit allen Ämtern zu arbeiten, mache gerade den Erfolg von S.T.E.R.N. aus. Man wisse um Konkurrenzgefühle, wolle sich aber auf keinen Fall über den Bezirk hinwegsetzen.

Der Senat wird wahrscheinlich diesen Teil Tiergartens als Sanierungsgebiet ausweisen. Denn das gibt der Verwaltung rechtliche Eingriffsmöglichkeiten auf das, was mit den Häusern passiert. Das freilich kann noch gut ein Jahr dauern, während S.T.E.R.N. schon Anfang 1990 loslegen könnte. Am 22.September soll in Tiergarten über die Bereichsentwicklungsplanung diskutiert werden, am 30.September wird über S.T.E.R.N. geredet. Eine Veranstaltung mit den Bürgerinitiativen wird es im Oktober geben.

Eva Schweitzer

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