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Immer wieder sehr schön

■ Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ in der Berliner Kammeroper

Elisabeth Eleonore Bauer

Das Stück ist nicht mal dreißig Jahre alt und schon ein Klassiker der Moderne. Die es aufführen sind auch noch jung, und das Publikum gehört zur Ikea-Generation Wir um Vierzig. Sogar der Ort hat Tradition: Diesmal ist die Berliner Kammeroper zu Gast am Halleschen Ufer, in dem Haus, wo weiland die Schaubühne ihre guten Jahre hatte. Die Kammeroper, gegründet 1981, hat einen Probenraum und einen Pressereferenten, aber keine feste Spielstätte und immer zu wenig Geld. Sie bringt ein- bis viermal pro Jahr ein neues Stück heraus und spielt es dann - mal hier, mal da - eine Woche en suite. Man muß sich schon sputen, um dabeizusein.

Die Truppe gehört nämlich zu jenen Freien Gruppen, die sich notgedrungen rar machen. Die - arm, aber glücklich - wie Trüffelschweine das Repertoire umpflügen und andere Leute, die von Amts wegen selbst welche haben sollten, auf gute Ideen bringen. Sie bringen experimentelle Werkstattprojekte heraus, Uraufführungen, kleine Kostbarkeiten großer Meister und große Würfe sogenannter Kleinmeister - aber auch abendfüllende Schlüsselwerke der Moderne. 1987 zum Beispiel zeigte die Kammeroper Strawinskys The Rake's Progress (Zufall: Zwei Jahre später zog das „große Haus“ in der Bismarckstraße mit einer eigenen Inszenierung nach), jetzt war es zum Auftakt der Saison Hans Werner Henzes frühe Erfolgsoper Elegie für junge Liebende (Zufall: Zum Saisonende gibt es in der Deutschen Oper eine Henze -Uraufführung). Die Kooperation funktioniert, Freiheit verpflichtet.

Freiheit wovon? Fragt der alternde Held in dem angestaubten Henzeschinken seine Süße, als sie ihn verlassen will, und dann noch: Freiheit wozu? Diese Frage klingt nach Klischee und kriegt keine Antwort, auch die Figuren des Dramas sind nur Abziehbilder einer falschen Welt. Denn die Luft ist dünn im Berghotel, wo der Dichter Mittenhofer hockt wie die Spinne im Netz und seinen Hofstaat kujoniert. Ein Meister wie d'Annunzio, wie Wagner - kurz, ein genialisches Charakterschwein: Rücksichtslos plündert er die Psyche seiner Mitmenschen und geht am Ende zum Wohle der Kunst buchstäblich über Leichen. Seine Opfer sind: ein Trottel von Leibarzt und dessen dummer junger Sohn, eine verrückte Alte, die gelegentlich literaturfähige Visionen absondert, eine frustrierte Gräfin, die sich selbst verwirklicht als Sekretärin, und des Dichters kleine Geliebte, die ihn, wie gesagt, verlassen will. Das tut sie am Ende auch, gemeinsam mit dem Arztsohn folgt sie dem Ruf des Berges, und die jungen Liebenden erfrieren im Gletscher, woraufhin der Dichter endlich inspiriert ist zu einer neuen Elegie.

Es geht also um Tod und Leben, um Ewigkeit und Menschlichkeit, Kunst und Klima. Die Typen auf der Bühne, verstrickt in ein Endspiel aus Lebenslügen und Abhängigkeiten, kommen direkt aus der Mottenkiste der Jahrhundertwende und haben durchweg psychologisch wertvolle Probleme. Was ihnen sonst noch im einzelnen passiert, ist nicht weiter wichtig. Bedeutsam ist nur die Moral, die aus jeder Dialogzeile und aus jedem Ton der Oper knüppeldick herausspringt: Die Bourgeoisie und ihre Ideologie, sie sind verrottet, verkitscht, erbärmlich, banal, brutal, menschenverachtend und mörderisch. Das alles wird wieder einmal gründlich entlarvt, das wußten wir aber vorher schon und gehen, wir um vierzig jedenfalls, herrlich erbaut nach Hause.

Das Libretto von Auden/Kallman ist fein ersonnen, die Musik von Henze edel, hilfreich und gut - ein Lehrstück, perfekt und kühl bis ans Herz. Eigentlich sollte das heftig klopfen, jedenfalls haben sich die Autoren es so gewünscht: daß etwa die Verzweiflungsarie der Gräfin „should make people shit in their pants with terror“ und daß beim Duett der jungen und der alten Braut „the audience must weep with sympathy“ (Kallman). Nicht nötig, nicht möglich - das Weinen besorgt schon die Violine, fürchten tut sich die Flöte, gerührt ist das ganze vielfarbenreiche Kammerorchester (hervorragend geführt von Brynmor L. Jones). Die schnurgerade Eindeutigkeit der Elegie aber läßt kein Zittern, kein Zagen, keinen Zweifel zu und obendrein kaum Spielraum für Interpretation.

Die Kammeroper hat ihn genutzt: Henry Akina (Regie) und Ric Schachtebeck (Ausstattung) setzten noch einen drauf und verdoppelten die Botschaft im Bild: Altdeutsch, Edelweiß, Naturholz und allgegenwärtig ein gewaltiges Alpenpanorama, die Sänger superrealistisch kostümiert und geführt wie das Dallaspersonal auf der Alm. Sie alle sangen und spielten gut, hinreißend Regina Schudel in der koloraturreichen Paraderolle der alten Verrückten. Und überhaupt machte die Berliner Kammeroper das Beste daraus, führte die Elegie vor als das, was sie ist: Musikmuseum der sechziger Jahre, Abteilung intellektueller Kitsch. Aber das doch immer wieder sehr schön.

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