: EinwenderInnen schlagen sich wacker
Bei der Anhörung für die in Marburg geplante gentechnische Produktionsanlage zeichnen sich Antragsteller und Behörden durch mangelnde Kenntnisse aus / Trotz ungeklärter Sicherheitsrisiken rechnen die Behringwerke mit einer Genehmigung der Anlage ■ Von Thomas Rahner
Marburg (taz) - Einen Tag länger als geplant erörterten in Marburg von Dienstag bis Donnerstag Vertreter der Behringwerke, des Regierungspräsidiums Gießen (RP) als Genehmigungsbehörde und zahlreiche EinwenderInnen die Risiken und Chancen einer gentechnischen Produktionsanlage für das Blutbildungshormon Erythropoletin (EPO).
Hatte am Dienstag die Anwältin Ulrike Riedel, Rechtsbeistand der EinwenderInnen, dem Verhandlungsleiter Erwin Spöhrer vom Regierungspräsidium eine „völlige Chaotisierung des Termins“ wegen gravierender Tagesordnungsmängel vorgeworfen, so sprach am Ende die Marburger Ärztin Marina Steindor für die EinwenderInnen von einem „vorbildlichen Termin“. Im Laufe des zweiten Tages hatte sich die Verhandlungsleitung spürbar gewandelt. Spöhrer forderte nun auch die Behring-Vertreter zu fundierten Sachbeiträgen auf und gab, gegen deren schärfsten Protest, dem Antrag einer Einwenderin statt: Gezeigt wurde der Film Gesucht wird eine Blutspur von Egmont R. Koch, der im Zusammenhang mit der Herstellung von Blutpräparaten der Firma Behring schwere Nachlässigkeit vorwirft.
Im Laufe der Anhörung gerieten sowohl Behring als auch die Behörden immer mehr in die Defensive. Firmenfachleute und Behördenvertreter mußten immer wieder Kenntnislücken zugeben. Die Hessische Landesanstalt für Umwelt ließ sich sogar durch eine externe Fachfrau, die Mikrobiologin Ruth Waller, vertreten, da innerhalb des Amtes offenbar niemand über ausreichenden Sachverstand verfügt.
Behring zog sich schließlich auf die Formel zurück, daß „die hundertprozentige naturwissenschaftliche Sicherheit“ nicht verlangt werden könne. Gebetsmühlenartig wiederholten die Firmenfachleute, daß ihre Anlage physikalisch und biologisch sicher sei. Im übrigen warfen sie der Einwenderseite das Schüren „diffuser Ängste“ und das falsche Zitieren von Fachveröffentlichungen vor.
Regine Kollek, Spezialistin der EinwenderInnen, legte ein detailliertes Gutachten vor, in dem eine Liste von Mängeln und Sicherheitsproblemen aufgezählt wird. Insbesondere die Frage unbekannter und möglicherweise gefährlicher Retroviren innerhalb der Ausgangszelle für die geplante Produktion sei nicht genügend untersucht worden. So sei die genetische Abstammung der Maus, die die Ursprungszelle für das zukünftige Verfahren lieferte, nicht bekannt. Ferner berge der Vektor, ein sogenanntes Gentaxi, der die menschliche Geninformation in die Mauszelle eingeschleust hat, ein mögliches Tumorpotential in sich. Dies könne über das später aus Erythropoletin hergestellte Medikament unkontrolliert weiterverbreitet werden.
In Marburg haben die EinwenderInnen auf eigene Kosten Aufgaben übernommen und gelöst, die eigentlich Sache der Behörden gewesen wären. Ohne ihre Beiträge hätten weder die Behörden noch die Firma Behring die kritischen Sicherheitsfragen überhaupt beim Namen genannt. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein neues Gentechnikgesetz ist vorgesehen, die Öffentlichkeit bei der Genehmigung gentechnischer Anlagen weitgehend auszuschalten. Auch das Marburger Verfahren hätte nach den Regierungsplänen nicht stattgefunden. Angesichts der Ergebnisse dieser Erörterung eine unverantwortbare Gesetzesplanung.
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