: Botschaftsbesetzer geben auf
■ DDR-Bürger verlassen Bonner Vertretung in Ost-Berlin / DDR sichert Straffreiheit und anwaltliche Betreuung zu / Eine Ausreise in die Bundesrepublik wurde ihnen nicht versprochen / Außenminister Genscher erwartet Massenausreise aus Ungarn in den nächsten Tagen
Hamburg (dpa) - Die 116 DDR-Bürger, die sich seit Anfang August in der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin aufgehalten hatten, sind brav nach Hause gegangen: Gestern nachmittag verließen sie die Mission. Die DDR sagte ihnen Straffreiheit und anwaltliche Betreuung bei ihrem Ausreiseantrag zu, gab aber keine Zusage zur Ausreise in die Bundesrepublik. Dies verlautete aus zuverlässigen Kreisen in Bonn.
Damit könnte sich auch eine Lösung des gesamten Problems der DDR-Flüchtlinge in Ungarn und der Bonner Botschaft in Prag anbahnen. Konkrete Zeitpunkte etwa für die Ausreise der mehr als 6.000 DDR-Flüchtlinge in Ungarn konnten gestern jedoch noch nicht genannt werden. Bundesaußenminister Hans -Dietrich Genscher kündigte eine humanitäre Lösung „in den nächsten Tagen“ an. In der Botschaft ihn Prag hieß es, dort habe sich bis zum Nachmittag noch nichts ähnliches wie in Ost-Berlin angebahnt.
Die Flüchtlinge verließen nach einem Gespräch am Vormittag mit dem Leiter der Mission, einem Vertreter des innerdeutschen Ministeriums sowie mit DDR-Rechtsanwalt Vogel freiwillig das Gebäude, teilte der Kanzleramtschef Rudolf Seiters in Bonn mit.
„Heute vormittag hat in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin (Ost) ein Gespräch mit den zufluchtsuchenden Deutschen aus der DDR stattgefunden,“ erklärte Seiters in Bonn. „Dabei wurden die Zufluchtsuchenden, insbesondere von Rechtsanwalt Dr. Vogel ausführlich über die Zusicherungen der DDR unterrichtet. Dabei sind alle Facetten des Problems dargelegt worden, so daß jeder von ihnen in die Lage versetzt wurde, selbständige Entscheidungen zu treffen.“
Die amtliche DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ meldete die jüngste Entwicklung unter der Überschrift: „Vernunft gewann Oberhand.“
Außenminister Genscher sagte gestern in der ARD-Sendung Bericht aus Bonn, daß er mit einer baldigen Ausreise der DDR-Flüchtlinge rechne. Dies sei eine souveräne Entscheidung der ungarischen Regierung. Es gebe keinerlei Arrangement zwischen Bonn und Budapest. Ungarn habe auch nie einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftshilfe und der Ausreise gestellt. Ein hochrangiger Beamter des ungarischen Außenministeriums betonte gestern in Budapest, die Lösung des Ausreiseproblems sei „eher eine politische und nicht eine juristische Frage“.
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