„Alle Mittel des Theaters fordern“

■ Interview mit dem Bremer Haus-Regisseur aus der DDR, Heinz-Uwe Haus

Hierhin

bitte

den Mann mit

Brille

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Ui hier zu inszenieren? Und was hatten Sie vor?

Haus: Wir sind davon ausgegangen, daß solche Geschichten 1989 ganz interessant sein müßten, die die Vielgesichtigkeit des Faschismus zeigen, die Verquickung von Egoismus, von Wirtschaft und menschlichem Verhalten, Geschichten von der Heldenauffassung in Deutschland. Brechts Geschichte vom Arturo Ui ist ja die Biografie von Al Capone. Der Trick, den Brecht da macht, ist heute noch aktuell. Theater muß sich über Vermittlungsformen, die unterhaltsam sind, die spannend sind, mit dem Publikum verbünden. Das sollte ein Abend werden, der alle Mittel des Theaters fordert.

Was sind die faschistischen Versuchungen heute, 1989?

Haus: Die Gemüsehändler. Ein Großteil der Menschen verhält sich heute so wie die Gemüsehändler in dem Ui. Sie brauchen

einen Führer. Der Ruf nach Sekten, nach dem Clan, die Anti -Rationalität, die Wendung gegen das Denken. Ich habe gelesen, daß in der Bundesrepublik etwa 60% der Menschen eine okkulte Vorausschau in die Zukunft in Anspruch nehmen und 70% ihre Heilung durch wundertätige Mittel für möglich halten. Das ist Boden für Faschismus. Faschismus ist, wenn man nicht denken will.

Der Klassiker Brecht - aber aktuell gegen den Strich?

Haus: Brecht ist jemand, der in jeder Weise das Gegen-den -Strich, die Skepsis, die ideologische Provokation mitschreibt. Wir leben in einer Zeit, wo Hitler-Tagebücher, wo Wünschelruten-Philosophie, Sektenwesen, Okkultismus, Satansglaube zunehmen, wo die Grufties schick im Kurs stehen, wo die Yuppies den Schiggi-Miggi-Faschismus als Kitzel brauchen. In einer solchen Situation ist wirkliche Unterhaltung, ist Vaudeville, die Tradition des Maskenspiels, die Tradition des populären Theaters, etwas, was gegenüber dieser flachen Reizdosis die vitalen Kräfte anspricht. In Brechts Berliner Ensemble sah man ein ganzes Stück mit Masken, als im sozialistischen Realismus das Menschenbild des Menschen eine Rolle spielte und keine Masken auf die Bühne kommen sollten. Da hatte die Erstarrung von Gesichtsteilen etwas mit den Verhältnissen zu tun, unter denen man lebt. Merkwürdig, daß in Bremen 1989 vielfach dieselben Argumente hochkommen.

Natürlich sind die Brechtschen Lösungen heute alte Hüte. Eine Kanonisierung Brechts können nur Schwachköpfe machen, die sich nicht für die Wirklichkeit interessieren.

Was ist denn nach zwei, drei Wochen Probe passiert? Wo ist Ihre Vorstellung vom Ui an der Realität des Ensembles gescheitert?

Haus: Ich will das so nicht sagen. Jeder kommt mit seinen Erwartungen, es ist dann kompliziert, in so einer Kennenlern -Phase alles unterzubringen. Ich glaube, man braucht mehr Zeit, um sich kennenzulernen. Daß hier so eine Lust ist, einen ganz spezifischen Ensemble-Formungsprozeß zu erleben, das hängt mit der Konzeption von Andras Fricsay Khali Son zusammen. Weil er eine bestimmte Gruppe von Menschen ausgesucht hat. Insofern scheint mir das Ensemble nicht repräsentativ zu sein für ein Stadttheater-Ensemble.

Das verstehe ich nicht.

Haus: Wer nicht auch diese Lüste hat, Verhalten von anderen nachzuspielen, der ist kein Schauspieler, der sollte in eine Therapie gehen. Ich kann mir vorstellen, daß Herr Khali Son eine Vision seiner Arbeit hat. Die ist mir so nicht bekannt, ich habe sie ja nun erlebt, und zu der gehört diese Vorgehensweise, daß man Aufführungen auch als Schauspieler -Team zu Ende führt. Und daß man mit bestimmten Künsten in einer Phase seiner Entwicklung nicht in Berührung kommen will.

Wie wird das weitergehen mit Ihnen, wenn das Ensemble geformt ist?

Haus: Das muß man sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Stadttheater sich „auf einen Stil“ festlegt. Da würde ja nach drei Vorstellungen das Publikum nicht mitmachen.

Sie feiern jetzt den Pluralismus, de facto wird aber ein Kampf ausgefochten. Sie wollen mit Brecht klassisches Theater, wollen den Kopf ansprechen, die Illusionen irritieren. Während Fricsay vielleicht mehr die Gefühle direkt ansprechen will?

Haus: Wir haben uns zwar gegenseitig gesagt, was wir wollen, aber ich habe nichts von ihm gesehen. Ich halte von solch einer Entgegensetzung nicht viel, obgleich sie einiges trifft. Aufführungen von Brecht können ja gar nicht anders funktionieren, als daß sie auch Gefühlsreaktionen erzeugen. Wenn man meint, daß Kunst etwas sei, das man für sich betreibt und keine gesellschaftliche Verantwortung hat, manövriert sich die Kunst in die Clowns-und Außenseiter -Rolle und bedient regressive Tendenzen.

Was für ein Ui wird denn nun aufgeführt?

Haus: Das kann ich ganz schwer sagen. Das wird ein Ui sein, in dem keine Masken, keine Choreografie verwandt werden ...

Sie werden sich den ansehen?

Haus: Auf jeden Fall. Ich bin ja Bühnenbildner. Teile des Bühnenbildes werden wohl verwendet. Int: K.W