: Koedukation auf Kosten der Mädchen
■ Über den für Mädchen zweifelhaften Nutzen des gemeinsamen Schulunterrichts mit Jungen / Die Jungs sind die lauten Gewinner
Jungs sind laut, herablassend und aggressiv, drängen sich an den Geräten vor, machen sich breit und beanspruchen mit Selbstverständlichkeit Rederecht und Aufmerksamkeit - auf Kosten der Mädchen. Natürlich in höflicheren und wissenschaftlicheren Worten lauten so Ergebnisse der geschlechterbezogenen Unterrichtsforschung, die seit Monaten für anhaltende politische Debatten um Mängel und Sinn der Koedukation, des gemeinsamen Unterrichts von Jungen und Mädchen, sorgen.
ForscherInnen fanden in empirischen Untersuchungen und mit Hilfe sorgsam ausgezählter Strichlisten und Interviews heraus: Mädchen werden in gemischten Schulklassen massiv benachteiligt. Einige Beispiele: Von den spärlichen vier Prozent reiner Mädchenschulen in Nordrhein-Westfalen kamen 1985 beeindruckende 40 Prozent der Informatik-Studentinnen in Pader
born und Dortmund, in Aachen sogar 60 Prozent. Oder: Zwei Drittel der LehrerInnen-Impulse und der Droge Nummer eins Aufmerksamkeit und Anerkennung - richten sich im Klassenraum an Jungen, disziplinierend oder fragend, fördernd, anerkennend.
Erhielten Mädchen im bewußten Versuch einmal rund 40 Prozent der Aufmerksamkeit von Lehrer oder Lehrerin, dann hatten die SchülerInnen - Mädchen und Jungen gleichermaßen schon den subjektiven Eindruck, daß die Mädchen „immer dran“ kämen und enorm bevorzugt würden.
Mädchen wird von LehrerInnen eher geholfen, Jungen wird eher erklärt. Jungen besetzen Schulhöfe, Flure und Klasenzimmer großräumig und drängen die Mädchen an den Rand. Jungen unterbrechen Mädchen häufig, nehmen sich selbstverständlich Rede-Recht und signalisieren
Desinteresse und Nicht-Zuhören bei weiblichen Redebeiträgen.
„Mädchen in koedukativen Klassen haben die paradoxe Wahl
zwischen zwei Übeln: für männlich-konkurrierendes Verhalten bestraft zu werden oder herabgesetzt zu werden dafür, weiblich und
zweitrangig zu sein. Ihre Leistungen werden genutzt, aber nicht anerkannt. Die Mädchen sind trotz besserer Schulnoten die stillen
Verliererinnen, die Jungen die lautstarken Gewinner.“ (Aus einer der Studien).
In Dänemark gibt es seit kurzem wieder geteilten Unterricht, versuchsweise. In der BRD regte die schleswig -holsteinische Kultursministerin Eva Rühmkorf (SPD), ehemals Hamburger Frauenbeauftragte, an, über zeitweilig getrennten Unterricht von Mädchen und Jungen in einigen Fächern nachzudenken.
Auch in Bremen diskutierte die „Arbeitsgemeinschaft für Sozialdemokraten im Bildungsbereich“ auf Einladung von Tammo Hinrichs unter dem Thema „Koedukation - Klassenziel nicht erreicht?“ Die Hamburger Universitäts-Vizepräsidentin und Forscherin Prof. Angelika Wagner, „selbst Produkt eines Mädchen-Gymnasiums“, referierte den Forschungsstand und plädierte für „zeitweilig getrennten Unterricht in sensiblen Fächern“.
Die Sprecherin des Zentral-Elternbeirats (ZEB), Marianne Isenberg, berichtete aus ihrer Praxis, daß zu 90 Prozent Mütter wegen ihrer Söhne beim ZEB anrufen und sich Rat holen wollen: „Die Mädchen leiden an den Defiziten stiller und sind weniger unbequem.“ Zwei Schülerinnen der 12. Klasse des Schulzentrums Rübekamp, Ulrike Osten und Antje Konukiewitz, hatten an ihrer Schule eine Mädchen-Gruppe gegründet und berichteten von den massiven Anfeindungen durch Jungs, aber auch durch Mädchen: „Wir waren gleich Männerhasserinnen, Emanzen und Kommunistinnen, obwohl wir doch bloß vorgeschlagen hatten, daß in Deutsch nicht nur fünf Prozent Autorinnen gelesen werden.“
Geschlachtet werden soll aber auch in Bremen die heilige Kuh Koedukation nicht - eine erst junge Errungenschaft, nach Jahrhunderten weiblichen Ausschlusses aus dem allgemeinen Bildungswesen. Die Frauenbeauftragten der Bundesländer legten aber jetzt gemeinsam erarbeitete „Empfehlungen“ zum Thema vor, die auf der nächsten Kultusminister-Konferenz diskutiert werden sollen (vgl. Kasten).
Susanne Paa
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