: KZ auf der Festungsinsel
■ Weserfort „Langlütjen“ diente der SA als Folterkeller / Kein Verlag für Dokumentation gefunden
Der ehemalige SS-Mann sah mich mit seinen arisch-blauen Augen mitleidig an: „Ein KZ auf Langlütjen - das hat es nie gegeben. Ich habe die Leute dort gefragt und die wußten von nichts.“ Das Gespräch muß im Jahre 1972 stattgefunden haben. Ich wußte damals von dem KZ in der Wesermündung nur aus der Erinnerung meiner Mutter. Aber jetzt jetzt steht es fest: Das Fort Langlütjen II war KZ.
Derjenige, der dies zweifelsfrei nachgewiesen hat, heißt Julius Schreckenberg und wohnt in Brake. Er hat die freie Zeit, die ihm der Ruhestand des Beamten gewährt, benutzt, um akribisch aufzusuchen, was noch an Spuren vorhanden ist. Ich habe Julius Schreckenberg kennengelernt: Er suchte micht, bewaffnet mit einem Tonband, auf, um mich auszufragen. Aber ich fürchte, daß das Gespräch für ihn eine ziemliche Enttäuschung war, denn über das hinaus, was ich bereits veröffentlicht hatte, wußte ich nichts mitzuteilen. Als er ging zweifelte ich daran, ob er noch viel finden würde aber ich hatte mich getäuscht.
Julius Schreckenberg hat jetzt das Ergebnis seiner Recherchen vorgelegt. Die Broschüre „Fest
ungsinseln an der Wesermündung und Konzentraltionslager Langlütjen II-Ochtumsand“ umfaßt 233 Seiten und kostet 22 Mark. Der Autor hat sie selbst verlegt - warum? „Ich hab's aufgegeben“, berichtet er. Bremer Verlage winkten ab und die „Oldenburgische Landschaft“ hat er gar nicht erst gefragt schade. Ich hätte gerne gewußt, mit welchen fadenscheinigen Gründen dort das Buch abgelehnt worden wäre.
Denn so wäre es gekommen. Das Buch über die Festungsinseln paßt natürlich nicht in das übliche Scheme der Heimatkunde, wie sie in Oldenburg und auch in der Wesermarsch gepflegt wird. Dabei bleibt auch Schreckenberg stellenweise ganz brav: Er beschreibt die Festungsanlagen an der Wesermündung, ihre Baugeschichte und ihre Verwendung im Ersten Weltkrieg das alles hätte auch von Adolf Blumenberg sein können, aber ab Seite 86 geht es los: Da legt der Autor Dokumente vor, die den Gang der Handlung hinreichend erhellen:
Das erste Bremer Lager, in dem Menschen grundlos inhaftiert, gefoltert und ermordet wurden, befand sich an der Walsroder Straße und hieß „Mißler“. Bald erwies es sich als zu klein - also
suchten die Kriminellen mit Hilfe der stets dienstbereiten Beamten der Freien Hansestadt ein Ausweichquartier. In dem Weser-Fort Langlütjen II, das damals leer stand, wurden sie fündig. Präzise vom 9.9.1933 bis zum 25.1.1934 wurden in den feuchten Kasematten unschuldige Menschen gefangengehalten und gequält. Dann verlegte man sie auf das KZ-Schiff Ochtumsand, das bei Altenesch lag. Von dort aus wuden die Inhaftierten in das KZ Sachsenhausen überführt.
Schreckenberg liefert nicht nur den aktenmäßigen Beweis er nennt auch die Namen von Männern, die dort inhaftiert waren, und er hat einige von ihnen sogar noch interviewen können. Nach diesen Aussagen handelte es sich beim KZ Langlütjen um ein ganz gewöhnliches Lager dieser Art mit den üblichen sadistischen Quälereien, wie sie oft beschrieben worden sind. Die Zeugen berichten allerdings sehr zurückhaltend von dem, was sie in der Wesermündung erlebt haben.
Warum wurde das KZ aufgelöst? Daß die Versorgung schwierig war, glaube ich nicht. Später hat man problemlos die Wehrmachtsbesatzungen auf den Inseln ernährt und ausgerüstet.
Vielmehr kommen drei Gründe zusammen:
-Unmittelbar an der Insel führte die Fahrtroute der großen Passagierdampfer vorbei, so daß das KZ von einem internationalen Publikum eingesehen werden konnte natürlich keine Werbung für das Nazi-Reich;
-wahrscheinlich litten die Wachmannschaften unter dem Einschluß auf der Insel ebenso wie die Häftlinge und strebten deshalb fort;
-schließlich war man damals bestrebt, die vielen kleinen Folteranstalten, die der SA unterstanden, aufzulösen zugunsten der großen Lager, die unter das Kommando der SS kamen.
Das sind meine Vermutungen. Und damit bin ich bei einem Punkt, der mir besonders wichtig ist: Julius Schreckenberg ist kein Historiker und gibt auch nicht vor, einer zu sein. Also hat er sich darauf beschränkt, Material zusammenzutragen und hat dies unverändert abgedruckt, weswegen er sich auch bescheiden als „Herausgeber“ bezeichnet. So ist ein sehr ehrliches Buch entstanden, das das dunkelste Kapitel der regionalen Geschichte der Wesermarsch und Bremens ein bißchen mehr erhellt.
Klaus Dede
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