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DAS KIND IM SCHRANK

■ 'Pralinen 89‘ im Interglotz: Eine Woche Filmkultur, made in Berlin

Der Blick schweift über unscharfe Kindergesichter „Haltet mich fern von der Finsternis!“ es gibt Reihenhäuser aus den sechziger Jahren, „Von mir ist zu sagen...“, „Was wirklich wichtig war...“, und das Kind wird in den Schrank gesperrt. Immer wieder als Gegenvision eine junge Mutter mit Kind an der Hand auf Wiesen, in der Stadt.

Andreas Jacke hat mit Vision eine individuelle Mythologie inszeniert - Lebensabschnitte, Wachstumsspannen und Situationsgrenzen, denen ein bildnerischer Nenner gegeben wird. Er reibt sich an Vätern/Vorbildern und ist wie in einem Zyklus aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seiner eigenen Sehnsucht auf der Spur. Mit dem Erbe der Eltern ist es so eine Sache. Der Sohn sitzt in der Küche daheim, Herrn Vater und Frau Mutter gegenüber, und eine Aktentasche wird hin- und hergeschoben. Der Sprößling verweigert die Annahme. Er muß groß und stark werden, der Vater hält ihn von hinten fest, damit er ißt, ekelhaftes weißleimiges Zeugs. Der Aktentasche ist kaum zu entweichen, im Zug liegt sie im Koffer, überall. Der Sohn straft sich selbst für dies Leiden, zertrümmert eine Platte von Bowie, die ihr Versprechen in einer realen Welt nicht hält.

Ein Paar steckt in einem ausführlichen Trennungskult, zu zweit ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, da ist ihr Gesicht im Spiegel für niemanden ergründbar. Zweisamkeiten an allen Orten der Stadt, und es läuft doch auf dieses Schweigen hinaus. Er flieht ein paarmal - in die Kinderwelt, fährt auf dem Jahrmarkt mit Zuckerwatte Karussell. Dann wird der Akt der Trennung vollzogen, mit gezückten Pistolen im Park, freigelassene Vision. Das Messer stach im Bett, blutrot waren die Seidentücher.

So kehrt der Traum zurück. „I want to do it may be all the time...“ (Prince) vor einem Bild der Monroe, darunter die Buchstaben MAMA, die Sehnsucht umschlingt zunächst die Frau als Mutter und Geliebte, “...guilty for my honesty“. Beim Tanzen wird dann die Aggression frei „These are the Prisons, these are the crimes“ (Bowie) und findet schließlich ein ruhiges Finale mit den Beatles „Oh Girl“.

Als Selbstporträt nähert sich der Film Körperwünschen, die die eigenen bleiben und keine stereotypen Formulierungen sind. Eine entspannte Dramaturgie und lange Einstellungen, die innere Unruhe des Protagonisten wird direkt das Bildthema, er sitzt da und atmet. Fürs Betrachten heißt das, daß man bei sich selbst bleiben kann. Der Film ist keine Wirklichkeitssimulation, es gibt keine neue, andere Welt, in der sonstwas geschieht, sondern sichtlich ist Berlin gefilmt, bestimmte unbedeutende Straßen und spezifische Gesichter, die keine Identifikation vorwegnehmen.

Das Heartbreak Hotel von Brigade Zeitgewinn ist ein entgegengesetzter Film. Berlin surreal: Eine Frau wird mit nebulösem Auftrag von einem Taxifahrer an sonderbarem Orte abgesetzt, einem ominösen Haus, durch das kein roter Faden führt, allenfalls ein Monteur, der sich durch die Schächte schlingert. Es gibt nur Selbstgespräche. Jeder Raum ist von grotesken Szenarien erfüllt; ein absurder Gruselfilm, dem die Protagonistin aber enorm cool standhält. Es gibt Kulthandlungen und vielleicht Zeitgeistiges, S&M-Gepeitsche, Fünfziger-Jahre-Styling, aus dem Kühlschrank quellende Flaschen, bemalte Körper, ein blubberndes Klo, aufsteigende Bodendämpfe, ein Naziverhör, schreiende Behinderte... Die Frau entkommt, weil sie Murmeln verstreut - selbst am Rande der Welt kann einen nur die Magie retten! Dann Berlin wieder anti-magisch: zerfallende Bauten um und um. Dead End.

Mit der Todesgrenze beschäftigt sich auch der Film Das Pendel. Ton und Bild fallen auseinander, jemand spricht, doch man sieht es nicht, es war schon vorher oder nachher. „Gott, wir haben Dich gerufen und Du bist nicht gekommen.“ Ein jüdischer Gelehrter plädiert für natürliche und naive Brutalität, die Menschen seien an Feigheit und am Christentum erkrankt. Man sieht überall Gewehre. Es heißt „Wir müssen eine Seele retten, die im Inferno versinkt!“ Ein Mann „hat die Skala der menschlichen Möglichkeiten durchlaufen und weiß, daß ihm nichts bleibt“. Der Kommentator beschließt am Ende: „Wir werden ein paar wunderbare Götter erfinden, und wie anders wird dann das Leben sein!“ Das mag wie Philosophie klingen, komprimiert und abstrakt, aber vielleicht ist es gerade das, woran der Film krankt. Eine stilisierte Todessehnsucht als Zeitgeist, der die Sinnlichkeit flöten gegangen ist.

Nostalgie verspricht Manfred Jelinski mit So war das SO36. Da sitzen die Punk-Mädchen und kichern, und die Ratten kringeln sich um den Hals. Viele erzählen, wie es war, die türkischen Nachbarn, auftretende Rockgruppen, Geschäftsführer, Musikjournalisten und immer wieder die punkige Bezugsgruppe, die unbeschwörend gezeigt wird, sie rauchen, einer reihert nonstop. Es ist ein spielerischer und menschlich respektvoller Film, den kein politischer Groll eingeengt hat. Das SO36 ist im Januar 1988 „wegen Baufälligkeit“ geschlossen worden, weil sich dort die „falschen“ Leute getroffen haben, weil es „laut“ war, weil...? 1982 war es noch Auftrittsort wirklich unkonventioneller Gruppen, wurde dann kommerzorientierter geleitet und war umrankt von Unzufriedenheit. Übrig blieb das Interglotz, der kleine Laden im Vorderhaus, wo Lesungen für Kinder gehalten wurden, Maler Werkstattgalerie betreiben und jetzt Super-8 nach Achtung heischt. Denn: auf der Straße hängt eine Projektionsfläche, die aussieht wie eine Glotze (InterGLOTZ), darauf wird aus dem Fenster projeziert, Achterbahnaufnahmen. Also eine Wortzerlegung in ihre Gegenstände, Filmprinzip par excellence. Man sollte es auch nicht versäumen, dort aufs Klo zu gehen. „Bitte im Sitzen pissen“, heißt es, und das lohnt sich, sofort geht nämlich ein Film los. Die mediale Umsetzung war am letzten Abend perfekt: Über fünf Projektoren wanderte ein Film durch beide Räume mit zwei Projektionsflächen auf den Wänden, einer falsch herum. Eine Nähmaschine näht Film, auf Reprofolien geklebter Film lief als Schlaufe durch die Maschine, Zahlen, Bilder, Zickzack wurden an die Wand gespiegelt.

Super-8 ist heute nichts mehr für Amateure. Ein nostalgisches Medium, über das die Zeit fast hinweggegangen ist. Nur noch wenige Firmen stellen Projektoren her, die Familienväter sind auf Video umgestiegen. So lassen sich heute auf Flohmärkten die Abenteuer vergangener Familien kaufen. Dagie Brundert hat aus zwei Stunden Mallorca eines Rentnerehepaars drei Minuten zusammengeschnitten, dazu ein charmanter Sixties-Schlager. Hochnostalgisch ist auch Jörn Zehe, dessen Bilder laufen lernten, aber wie! Es sind Blitzbewegungen im Park, bei jung und alt gleichermaßen, was das Zeug hält. Tradition ist auch der Wechsel von Schwarz -Weiß mit Buntfilm bei vielen Filmemachern. Deutlich wird immer, daß Super-8 eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ist, sich eine kleine Welt heraussuchen muß, während Video eine Welt für sich schafft und in der Produktion abstrakt bleibt. Super-8 dagegen ist ein Medium von handwerklicher Konkretheit. Für alle Filmemacher ist die manuelle Arbeit mit dem Material wichtig, wegen „der direkten Schönheit des Films, die bei Video nicht da ist“, so Dagie Brundert. „Film ist die Liebe.“

Sophia Ferdinand

Weitere (internationale) Kurzfilme beim „Interfilm„ -Kurzfilmfestival im Eiszeit, FSK und Arsenal: vom 27.September bis zum 1.Oktober.

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