: The show is over
■ Die internationale Presse in Ungarns Flüchtlingslagern
Budapest (taz) - Indiz ist hier inzwischen alles. Ob der Außenminister am Donnerstag mit dem Innenminister konferiert, ob die ungarische Nachrichtenagentur 'mti‘ zwischen den Zeilen alles und nichts sagt, ob erstmals eine Besichtigung des Budapester Lagers Csilleberc für die internationalen Journalisten möglich ist. Alles wird interpretiert, gedreht und gewendet, als ob sich daraus endlich ein Termin für die Abreise der rund 6.000 DDRlerInnen aus Ungarn in die BRD ablesen lasse.
Wer auf eigene Faust recherchiert, kann den Gerüchten noch die Meinung von Subalternen aller Art hinzufügen. Da wird bestochen und gemunkelt, daß es eine Art ist. Jede/r hat inzwischen auch „seine“ Zonis adoptiert. Das Ergebnis: Zweckoptimismus allenthalben. Wenn nicht heute, dann morgen, aber sicher in zwei Tagen. Täglich stehen die JournalistInnen in Verhandlung mit ihren (Chef-)Redaktionen: bleiben oder abreisen?
Die Besichtigung des vom ungarischen und bundesdeutschen Roten Kreuz geleiteten Lagers Lcilleberc hat hohen Unterhaltungswert. Das erste Mal Lagerleben pur, aber die JournalistInnen werden streng reglementiert. An der Informationsbaracke hängt die Warnung vor dem Hunde: „Heute mittag um zwölf Uhr kommen Leute von der Presse und vom Fernsehen zu diesem Platz.“ Wen das „stört oder irritiert“, der möge sich fernhalten.
Im Lager entspinnt sich eine lebhafte Diskussion zwischen den DDRlerInnen über den Sinn und Unsinn der internationalen Berichterstattung. „Die suchen hier nur das Negative“, meinen die einen. „Die sollen aber auch nicht schreiben, daß hier alles gut ist“, sagen die anderen. „Die sollen ja nicht die ungarische Regierung verärgern“, heißt es von da. „Für die sind wir doch auch nur Spielball der Politik“, von dort.
Eines wollen die meisten: Sie danken den Ungarn, den Maltesern, dem Roten Kreuz. „Daß ich überhaupt hier bin, ist für mich das Größte.“ Zwischenruf: „Das schreibt aber niemand.“ Tatsächlich ist der Mann, der sich beschwert, daß er die Nächte mit zehn Menschen in sechs Betten verbringen muß, die Ausnahme. Die Menschen haben sich zusammengerauft. Und sie verlangen sich selbst Geduld ab. Pünktlich nach einer Stunde werden die JournalistInnen wieder vor das Tor komplimentiert. Störrische werden dreisprachig gemahnt. „The show is over“, hört sich das auf Englisch an. „The show must go on“, tönt es zurück.
hei
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen