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Wiener Kurdenmord - Befehl aus Teheran?

Kein einziger der mittlerweile als Verdächtige gehandelte Personen befindet sich in den Händen der österreichischen Polizei / Skandalöse Ermittlungen Übten die Behörden diplomatische Rücksicht aus Angst vor dem Iran? / Motive der Attentäter weiterhin unklar / Waren die Verhandlungen nur ein Hinterhalt?  ■  Von Beate Seel

Der iranische Propagandasender „Radio Teheran“ posaunte kürzlich lauthals eine Nachricht in alle Welt hinaus, die anderswo zunächst mit sehr viel mehr Diskretion behandelt wurde: Der „Kämpfer“ Mohammed Jaafari Saharudi, der am 13.Juli bei einem Anschlag auf drei kurdische Politiker in Wien verletzt wurde, war am Samstag, den 22.Juli, mit dem Iran-Air-Flug 722 aus Wien nach Teheran zurückgekehrt.

Die österreichischen Behörden ließen ihn ausreisen, obwohl er verdächtigt wird, selbst in das Attentat verwickelt zu sein, bei dem Abdel Rahman Ghassemlou, Generalsekretär der Kurdisch-Demokratischen Partei Irans (KDP), Abdullah Ghaderi, Europa-Vertreter der KDP, und ein irakischer Kurde namens Fadil Rassoul bei Geheimverhandlungen mit dem iranischen Diplomaten brutal ermordet wurden. Und nicht nur das: Auch zwei weiteren an dem Geschehen beteiligten Iranern wurde es ermöglicht, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Fünf Wochen nach dem Anschlag zeigt sich, daß Polizei, Justiz und Außenministerium hart gearbeitet haben, um das Absetzen der Verdächtigen nicht zu verhindern, wie das Nachrichtenmagazin 'Profil‘ bissig kommentiert. Solange man ihrer noch habhaft werden konnte, ließ man sie ziehen, kaum waren sie weg, wurden sie plötzlich als „Verdächtige“ gehandelt.

Zum Beispiel Saharudi: An jenem Donnerstag, gegen 19.30 Uhr, befand sich der Inhaber eines iranischen Diplomatenpasses und Leiter der Teheraner Verhandlungsdelegation am Tatort in der Linken Bahngasse 5. Während Ghassemlou und Ghaderi sowie Rassoul, der eine vermittelnde Rolle gespielt hatte, von Kugeln durchsiebt wurden, erlitt er eine Schußverletzung am Mund. Er schleppte sich auf die Straße, wo er Amir Bozorgian (siehe Kasten) in die Arme lief und ihm einen Umschlag mit 9.000 Dollar übergab. Die nächsten Tage verbrachte er unter Polizeischutz in einem Wiener Spital, wo er verhört wurde. Am 21.Juli verließ der Iraner die Klinik, begab sich in die iranische Botschaft und flog am folgenden Tag ungehindert nach Teheran.

Inzwischen hatte jedoch ein Motorradhändler Saharudi als den Mann identifiziert, der das Fluchtfahrzeug, eine rote Suzuki GSX 500E, gekauft hatte. Die Fahrzeugpapiere waren von der Polizei zusammen mit den Tatwaffen noch am Abend des Mordes in einer Mülltonne gefunden worden. Saharudi bestritt, das Motorrad am 10.Januar gekauft zu haben: Er habe nach einer früheren Gesprächsrunde mit Ghassemlou in Wien am 4.Juli das Land verlassen und sei erst am 14. wieder zurückgekehrt. Der Paß, den er mit sich führte, weist einen Einreisestempel mit diesem Datum auf.

Teheran um

Auslieferung ersucht

Erst nach Saharudis Abflug fanden die Ermittler bei einem Lokaltermin heraus, daß die tödlichen Schüsse nicht notwendigerweise, wie zuerst vermutet, von der Tür her abgefeuert wurden, sondern möglicherweise auch aus der Ecke, in der Saharudi während der Gespräche gesessen hatte. Da war Saharudi aber bereits über alle Berge. Nun gilt er als Tatverdächtiger. Um der Posse noch die Krone aufzusetzen, sprach sich Innenminister Franz Loeschnak am 27.Juli dafür aus, einen Auslieferungsantrag an den Iran im Falle Saharudi zu stellen...

Die Staatsanwaltschaft in Wien hatte „aus Mangel an Beweisen“ die Ausstellung eines Haftbefehls gegen Saharudi verweigert. 'Profil‘ zitierte in diesem Zusammenhang jedoch einen internen Bericht des Richters Seda, der in den ersten Tagen nach dem Mord monierte, es sei „äußerst schwierig“ gewesen, nähere Informationen von der Polizei zu bekommen und es habe dazu „massiver Forderungen der Staatsanwaltschaft bedurft“.

Zum Beispiel Bozorgian: Nach Aussagen Saharudis soll dieser sich zusammen mit Hadschi Mostafawi während der Geheimverhandlungen in einem Vorzimmer aufgehalten haben. Bozorgian selbst erklärte seine Anwesenheit vor dem Haus gegenüber der Polizei damit, er sei gerade aus einem Imbiß zurückgekommen und wisse von den Vorfällen in der Wohnung rein gar nichts. Zeugen gibt es dafür nicht. Außerdem hat Bozorgian in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Attentat und dem Eintreffen vor dem Haus telefonisch eine andere Person über den Anschlag informiert. Mysteriös... So nimmt es nicht wunder, wenn sich Bozorgian am Freitag abend nach seiner Vernehmung in die iranische Botschaft begab und sich damit dem Zugriff der Behörden entzog. Als ruchbar wurde, daß Bozorgian sich auf dem samstäglichen „Iran Air„-Flug einen Platz hatte reservieren lassen, wurde schnell ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt: wegen unterlassener Hilfeleistung. Zu spät, denn er befand sich ja bereits auf exterritorialem Gebiet. Nach Verhandlungen zwischen Justiz, Außenministerium und Botschaft wurde der Haftbefehl gegen ihn am darauffolgenden Sonntag für ein weiteres Verhör und eine Tatortbegehung vorübergehend aufgehoben. Bozorgian blieb bei seiner Aussage. Nachdem er in die Botschaft zurückgekehrt war, wurde der Haftbefehl wieder in Kraft gesetzt. Angeblich befindet er sich immer noch in dem Gebäude. Pressesprecher der Wiener Polizei bezeichneten Bozorgian zu diesem Zeitpunkt bereits als „Tatverdächtigen“, obgleich der Haftbefehl nur auf „unterlassene Hilfeleistung“ lautete.

Und schließlich Mohammed Magaby-Mozafar. Nach einer Recherche der französischen Zeitung 'Liberation‘ wird er in kurdischen Kreisen neben Saharudi, Hadschi Mostafawi und Bozorgian als „Person Nummer vier“ gehandelt. In den Tagen vor dem Verbrechen soll er häufig mit ihnen zusammengesehen worden sein. Wegen seiner asketischen Gesichtszüge und seiner auffällig roten Haare sei er leicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist es zwar spekulativ, aber dennoch bemerkenswert, daß nach Aussagen Saharudis einer der Täter eine „helle Kappe“ getragen haben soll... Magaby-Mozafar wurde schließlich, nachdem Kurden die Polizei auf ihn aufmerksam gemacht hatten, 48 Stunden festgehalten. Unter diskretem Polizeischutz wurde er am Samstag, den 28.Juli, auf dem Wiener Flughafen gesichtet, wo er die Iran-Air -Maschine nach Teheran nahm. Als Hauptverdächtiger wird unterdessen Hadschi Mostafawi gehandelt, der zusammen mit Saharudi bereits an den Verhandlungen mit Ghassemlou im Winter beteiligt war. In Wien sollen die beiden in den Tagen vor dem Anschlag unzertrennlich gewesen sein. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor, doch ist er seit dem 13.Juli wie vom Erdboden verschwunden - praktisch für die österreichischen Behörden, die bei ihren Ermittlungen so angestrengt bemüht waren, der verdächtigen Personen nicht habhaft zu werden.

Detail am Rande: In kurdischen Kreisen galt Hadschi Mostafawi bereits kurz nach der Tat als möglicherweise verdächtige Person. Auf Mostafawi angesprochen, erklärte ein Mitarbeiter der Wiener Staatspolizei gegenüber der taz, dieser Name sei ihm unbekannt.

So scheinen derzeit alle Spuren nach den Hintermännern des Attentats nach Teheran zu weisen. Die Killer hatten vorgesorgt: Der Schließmechanismus der Eingangstür des Hauses Linke Bahngasse 5 war durch einen Klebestreifen außer Kraft gesetzt worden. So konnten sie in die Wohnung gelangen, ohne die Tür aufbrechen zu müssen. Die beiden Personen schließlich, die sich angeblich im Vorzimmer aufgehalten hatten, Hadschi Mostafawi und Bozorgian, waren just zum Zeitpunkt der Tat nicht anwesend - ein Zufall? Oder steckten sie mit dem Mordkommando unter einer Decke? Und was Saharudi anbelangt, wird wohl nie geklärt werden, ob er ebenfalls getötet werden sollte oder durch einen Querschläger verletzt wurde. Die skandalösen österreichischen „Ermittlungen“ lassen sich wohl nur mit diplomatischer Rücksichtnahme auf Teheran erklären.

„Ich gehe davon aus, daß die Kollegen des Außenministeriums eine gewisse Sorge für die Sicherheit der Österreicher im Iran hatten, aber das war sicher kein Grund, der für die Justiz ausschlaggebend gewesen sein wird“, erklärte ein österreichischer Beamter. Eine Äußerung, die sehr nach Druck aus Teheran klingt. Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Außenminister Mock verabreichte dem Iran eine Beruhigungspille, als er im Falle Bozorgians erklärte, es gebe keine Möglichkeit, des Gesuchten habhaft zu werden. Angesichts solcher bequemer Sicherheiten braucht man sich natürlich gar nicht erst zu bemühen. A propos Sicherheiten: Bereits am Abend der Tat wußte die Wiener Staatspolizei hauptsächlich eins, daß es nämlich keinerlei Hinweise auf eine Verwicklung von Geheimdiensten gebe. Eine Aussage, die auch später noch aufrechterhalten wurde, obwohl so ziemlich alles dagegensprach. Wenn auch alle Wege nach Teheran zu führen scheinen, so bleibt doch die letztendliche Motivation für das Attentat im dunkeln. Bei den unter strikter Geheimhaltung geführten Wiener Gesprächen zwischen der KDP und dem Regime ging es um eine Autonomie-Regelung für die Kurden im Iran (vgl. taz vom 22.7.). Offen bleiben zwei Hypothesen: Eine Hardlinerfraktion in der Führung wollte die unter Ägide des Rafsandschani-Vertrauten Saharudi geführten Gespräche torpedieren, weil sie kein Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts hatte, oder aber das Regime in Teheran stellte den kurdischen Politikern eine Falle.

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