: UNTER DER LATERNE
■ „Ein Waldspaziergang“ im Schloßparktheater
Zu einem von vielen scheinbar anachronistischen Ereignissen in Berlin gestaltet sich stets der Spaziergang ins Steglitzer Staatliche Kleinod. Die Damen wallen in unvorteilhaften Bodenhängern, die Herren in ausgemotteten weißen Jackets unter den Laternen, als wäre man auf Kur und wüßte sich nicht zu beschäftigen. Um so denkwürdiger, wenn das Programm inzwischen auch aktuelle, gar politische Themen aufgreift. Sicher werden die Gäste später, im schützenden Wintergarten oder vor dem toten Kamin, noch lange erörtern: „Einerseits..., andererseits...“
In dem Stück des amerikanischen Autors Lee Blessing, vor einem Jahr erstmals am Broadway aufgeführt, geht es um das Elend nichtendenwollender, weil erfolgloser Abrüstungsgespräche zwischen den Supermächten. Auf einem Waldspaziergang einigten sich vor sieben Jahren der amerikanische Chefunterhändler Nitze und sein sowjetischer Kollege Kwitzinskij auf eine Abrüstungsformel. Einer von vielen „großen Schritten“, die regelmäßig der Öffentlichkeit einen Abbau der Rüstungsspirale suggerieren sollen, obwohl sich die Supermächte in Wirklichkeit in beiderseitigem Einvernehmen auf die Verschrottung ihrer alten zugunsten der Entwicklung neuer Raketen verständigt haben. Lee Blessings Waldspaziergang hilft der Wirklichkeit nur ein bißchen auf die Sprünge, und schon ist es ein Zweipersonenstück ohne große Dramatik, aber mit unterhaltsamen, sarkastischen Dialogen.
Der russische Unterhändler Andrej Botwinnik (Hans Teuscher) kriegt einen frischen Kontrahenten an die Konferenztafel beziehungsweise in den Wald geschickt, einen richtig guten Amerikaner namens John Honeyman (!), der noch so richtig idealistisch an das Weniger-Böse im Russen appelliert. In Sasses Inszenierung ist der Russe ein sympathischer, dickleibiger Genußmensch, der sich über der Langeweile der Abrüstungsgespräche den Austausch von Mann zu Mann herbeisehnt: „Hast du schon mal mit 'ner Rothaarigen gefickt? Nein? Schade. Ich auch nicht. Könnte gut sein.“ Doch Honeyman (Max Volker Martens) erweist sich als noch langweiliger als ein Verhandlungstisch. Der puritanische Papiertiger windet sich verschämt, um exhibitionistisch zu bekennen, er hasse braune Anzüge. überdies ist seine Lieblingsfarbe Orange, was ihn vollends diskreditiert. Botwinnik zögert trotzdem keinen Augenblick, dem Gegner die Freundschaft anzubieten, die dieser natürlich ablehnt. Botwinniks Strategie ist dabei gar keine; als abgründiger Realist hat er schon lange resigniert; seine Waldspaziergänge dienen der Entspannung, nicht der heimtückischen Überführung des Feindes in die Waffenlosigkeit.
Im illustrierenden Bühnenbild Santiago del Corrals, einer Waldlichtung vor kitschigem Ausblick, werden die Abrüstungsexperten immer mehr zu privaten Nullnummern, die sie in Wirklichkeit ja auch sind. Honeyman zerbricht an dieser Erkenntnis fast (sein ganz persönlicher Abrüstungsvorschlag wird von der eigenen Regierung verworfen), Botwinnik richtet sich in seinem zwecklosen Dasein ein, weil er kapiert hat, daß die Supermächte an einer Einigung gar nicht interessiert sind. Die beste Erkenntnis des Abends stammt deshalb auch von der besseren Nullnummer, von Botwinnik: Schuld am Scheitern der Verhandlungen ist allein die Schweiz. Denn mit ihren einzigen Gütern, Bergen und Wald, vermittelt sie ein solches Bild der Friedlichkeit, daß jegliche Abrüstungsfanatik im Keim erstickt.
Das zwecklose Dasein in der Neutralität, vom Guten und Wahren zu wissen, doch im Bewußtsein der eigenen Nichtigkeit die Hände in den Schoß zu legen, zeugt von zeitgemäßem Adel. Die Anzüge sind gut geschneidert, die Schauspielerei anständig und die Trinksprüche an der Kassettendecke des Foyers ein vorzügliches Pausenvergnügen.
DoRoh
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen