: Beamte unter Strom
■ Stromtrasse über Wohnsiedlung / Senatsverwaltung ahnungslos / Behördenzank bei Bürgeranhörung
Nur wenige Dutzend Bürger verloren sich am Montag abend in den Weiten des TU-Audimax, um gegenüber dem Senat ihre Einwände gegen die Stromtrasse vorzubringen. Dafür, daß keine Langeweile aufkam, sorgten stattdessen die zahlreich versammelten Behördenvertreter: Sie zankten sich meistens untereinander. „Wir lassen uns den Mund hier nicht verbieten“, schnauzte Spandaus SPD-Baustadtrat Jungclaus einmal in Richtung Podium. Dort stand daraufhin ein Mitarbeiter der Senatswirtschaftsverwaltung auf und redete auf seinen Kollegen von der Naturschutzbehörde ein: „Unglaublich“ sei das Verhalten der Spandauer, die fortwährend Widerworte gegen die Senatsvertreter wagten. Folgsam stiefelte Senatsnaturschützer Muhs in die Zuschauerreihen und versuchte, die Spandauer zur Mäßigung zu überreden.
Die Spandauer Behörden fühlen sich übergangen. Ohne die naturschutzrechtliche Prüfung abzuwarten, an der auch der Bezirk beteiligt werden muß, hatte der alte Senat dem Stromvertrag zwischen Bewag und Preußen Elektra zugestimmt. Muhs räumte ein, das Vorhaben als Ganzes könnte nach dem Naturschutzrecht durchaus „unzulässig“ sein - dann nämlich, wenn keine umweltverträgliche Trasse gefunden würde. Konsequenzen hätte dies freilich nicht mehr. Die Senatsumweltbehörde beschränke sich nun darauf, die möglicherweise weniger umweltschädliche Verkabelung eingehender zu prüfen. Bislang sei auch dies, so Muhs, versäumt worden.
Wie lückenhaft der alte Senat die Bewag-Pläne auf Schwachstellen abgeklopft hatte, wurde im Verlaufe der vierstündigen Debatte noch einmal deutlich. Gesundheitsgefahren oder Belästigungen gingen von der geplanten Hochspannungsleitung höchstens dann aus, wenn Menschen dauerhaft unter den Drähten wohnten, erklärte der Vertreter der Gesundheitsverwaltung, Pellnitz. Er fand das beruhigend. Denn, so meinte er, „unter der geplanten Trasse hier in Berlin wohnen keine Menschen“. Stadtrat Jungclaus mußte dies sofort korrigieren. Die Wohnsiedlung Hakenfelde liege direkt unter der von der Bewag geplanten Freileitung. 185 Haushalte hätten das behördlich verbriefte Recht, dauerhaft in der ehemaligen Laubenkolonie zu wohnen. Das Bundesgesundheitsamt (BGA) empfiehlt jedoch, wie berichtet, Wohnhäuser nicht mit Stromleitungen zu überspannen. Links und rechts der Trasse, so der Rat des BGA-Professors Bernhardt, sollte ein Abstand von je 15 Metern bleiben. Peinlich für die Gesundheitsverwaltung: Mit Bernhardt hatte sie zwar zusammengearbeitet; vor Ort umgesehen hatte sie sich jedoch nie.
hmt
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