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Perestroika gegen (K)alte Krieger

 ■ S T A N D B I L D

(Eine Welt ohne Waffen? Di., 12.9., Nord 3, 20.15 Uhr) Eine kompetentere Runde sei auf der Welt kaum vorstellbar, lobte gleich zu Beginn NDR-Moderator Jürgen Kellermeier sich und seine Tischnachbarn. Das Niedersächsische Zahlenlotto, die Evangelische Akademie Loccum und der Norddeutsche Rundfunk hatten zwei deutsche Journalisten, Wolfgang Fechner und Dietrich Möller, sowie vier alte Rüstungsprofis, Paul Nitze (USA), Viktor Karpow (UdSSR), Manfred Wörner (Nato) und Helmut Schmidt ('Die Zeit‘) geladen. Doch tatsächlich übt heute nur Karpow als stellvertretender sowjetischer Außenminister wirklichen politischen Einfluß aus. Wörner, zwar im Amt, aber ohne Würde, repräsentiert im wesentlichen Nato-Positionen. („Der Westen hat Angebote gemacht, nun müssen sich die Sowjets zeigen.“) Altkanzler Schmidt doziert wie eh und je über Wirtschaft und Weltpolitik, der langjährige Garant amerikanischer Eindämmungs- und Abschreckungspolitik Nitze bekam gerade von US-Präsident Bush die kalte Schulter bezüglich einer weiteren Mitarbeit in dessen Administration gezeigt.

So laberten sie dann eineinhalb Stunden aneinander vorbei. Niemand stoppte den Redefluß der älteren Herren. Moderator Kellermeier griff selten strukturierend in die ausufernden Statements ein. Ein Beispiel für die Umgestaltung politischer Diskussionen beim NDR bildeten die beiden geladenen Journalisten. Sie durften nur drei kurze Fragen stellen.

Ansonsten bot die Veranstaltung Bekanntes. Der Frühschoppen als Spätschoppen - allerdings mit Mineralwasser. Die Personen wurden dem Zuschauer nicht nähergebracht. So mußten wichtige Fragen zum Verständnis der Völker und ihrer Politiker unbeantwortet bleiben: seit wann duzen sich ein Russe und ein Amerikaner: „Paul“ (Karpow) und „mein Freund Viktor“ (Nitze)? Und wo wurden Nitze und Schmidt so vertraut miteinander? Nato-Generalsekretär Wörner durfte dagegen niemanden duzen.

Tatsächlich nutzte nur Viktor Karpow listig die 90 Minuten bester Sendezeit. Er warb für die Perestroika. Hier versprach jemand Hoffnung auch für die Zukunft der Menschen im Westen. Die Chance zum Nachfragen wurde vertan. Helmut Schmidt, immer noch in bewährter Kampfmetaphorik befangen, bescheinigte Karpow am Ende Tapferkeit, gegen „sechs Westler angetreten“ zu sein. Das Publikum im Funkhaus Hannover belohnte die heroische Tat mit langem Beifall. Perestroika kommt in Fernsehdiskussionen eben an, (k)alter Krieg zieht nicht mehr.

Holger Iberg

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