piwik no script img

Bolivien als neue US-Militärbasis

In Potosi kamen GIs mit „ziviler Mission“ und spielten Manöver / Rauschgifthändler und Guerillieros werden ins Visier genommen  ■  Aus La Paz Gaby Weber

„Man sagt, daß selbst die Hufeisen der Pferde aus Silber waren. Aus Silber waren die Altäre der Kirchen und die Flügel der Cherubine, die in Prozessionen durch die Stadt getragen wurden. 1658, anläßlich der Corpus-Christi-Feiern, wurden die Pflastersteine der Straßen von der Hauptkirche bis zur Kirche der 'Recoletos‘ entfernt und durch Silberbarren ersetzt. Man nahm die Kälte wie eine Steuer in Kauf; die Stadt zählte 36 prachtvoll geschmückte Kirchen, 36 Spielhäuser und 14 Tanzschulen. Die Salons, Theater und Festbühnen waren mit kostbaren Wandteppichen, Vorhängen, Wappenschildern und Schmiedearbeiten versehen.“

Mit diesen Worten beschrieb der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano in den „Offenen Adern Lateinamerikas“ die glanzvolle Vergangenheit von Potosi. Die Stadt, 550 Kilometer südlich von La Paz in einer Höhe von 4.100 Meter gelegen, wurde im April 1645 von den spanischen Eroberern gegründet. Silber und Zinn hatten im 17. und 18.Jahrhundert mehr als 160.000 Menschen in den eisigen Altiplano gelockt; Potosi hatte damals mehr Einwohner als London, Paris oder New York.

Doch dann wurden in Brasilien und Mexiko rentablere Minen entdeckt und die Stollen des „Cerro Rico“, des Reichen Berges, geschlossen. Zuerst verschwanden die Reichen und später auch die Armen. Der Glanz Potosis verblaßte, heute leben zwischen den Ruinen der Gotteshäuser und Paläste nur noch 80.000 Menschen. Ist Bolivien laut Statistik das ärmste Land des Subkontinents, so ist Potosi die ärmste Stadt Boliviens, vor zwei Jahren von der Unesco mit dem Titel „Erbe der Menschheit“ versehen.

Nur wenige Touristen verirren sich in die eisige Kälte des Altiplano, denn nach Potosi gelangt man nur auf halsbrecherischen Landstraßen oder mit einer Eisenbahn, die Altertumswert hat. Die staatliche Fluglinie Lloyd weigert sich, Potosi anzufliegen, denn der Hügel Pati-Pati versperrt den Zugang. Alle Versuche, die Zentralregierung in La Paz zu einer Investition zu bewegen, waren bisher erfolglos. Nur ein paar hartnäckige Rucksacktouristen treten den Weg in die Einöde an, um die Kulturdenkmäler der spanischen Eroberung zu bestaunen.

Das soll nun alles ganz anders werden. Denn seit dem 16.Juni befinden sich 275 US-Soldaten in Potosi. Mit schwerem Gerät waren sie nach La Paz geflogen und von dort aus, bewacht vom dritten Infanteriebataillon der bolivianischen Armee und bestaunt von den Hochländern, zum „Erbe der Menschheit“ weitergefahren.

Seit zwei Monaten geht über Potosi ein warmer Dollarregen nieder. Jeder GI muß täglich knapp 15 Dollar unters Volk bringen, macht monatlich 120.000 Dollar. Es sprießt das Kunsthandwerk. Zum ersten Mal blüht der Tourismus. Und die Gringos benehmen sich als höfliche Gäste. Die grüne Währung und Kreditkarten werden natürlich akzeptiert, aber es gibt nicht die klassischen negativen Begleiterscheinungen stationierter Truppen - keine Bordells oder Hotdog-Stuben. Kein Aids-Gespenst geht um im Altiplano. Die Soldaten wohnen in 60 hübschen Häusern fünfzehn Kilometer vor der Stadt, in Santa Lucia - einst für sowjetische Bergbauspezialisten errichtet.

Die Soldaten widmen sich nicht nur dem Tourismus. Ihre Mission heißt: Nächstenliebe. Sie sollen, hatten Ende vergangenen Jahres alle drei große Parteien im Kongreß beschlossen, den Berg Pati-Pati ebnen, der bisher den Ausbau des örtlichen Flughafens behindert hat, aber auch - so heißt es jedenfalls in der Presse - Schulen und Gesundheitszentren bauen. US-Ärzte haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, und sogar ein Elektrifizierungsprojekt ist im Gespräch.

Die Potosiner danken's mit zufriedenen Mienen. Was sie stets von der Regierung in La Paz erfolglos erbettelt haben, fällt ihnen nun wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß. Als in einer Bürgerversammlung ein linker Stadtverordneter das Wort „US-Imperialismus“ in den Mund nahm und die Präsenz der Militärs in Frage stellte, erhob sich ein Sturm der Empörung. „Es handelt sich nicht um eine Invasion oder ein Attentat auf unsere territoriale Souveränität, sondern um eine großartige zivile Hilfeleistung“, bedankte sich der Präsident der regionalen Entwicklungsbehörde Corpedo. Schon haben die Nachbargemeinden Oruro und Sucre gleichfalls Unterstützung aus Washington beantragt.

Nach nur zehn Tagen Akklimatisierung begannen am 26.Juni die Arbeiten am Berg Pati-Pati. Da fiel plötzlich ein Schatten auf die Idylle: Eine Pressemitteilung des Informationsministeriums kündigte gemeinsame Manöver der uniformierten Entwicklungshelfer mit der bolivianischen Armee an, die „Fuerzas Unidas 89“.

„Wir erfahren heute, daß im Gefolge der Techniker Soldaten kommen, und das darf nicht sein“, tadelte die katholische Tageszeitung 'Presencia‘. In La Paz warnte die „Vereinigte Linke“ vor einer „Hondurisierung“ des Landes. Und in Santa Cruz veröffentlichte die konservative 'Mundo‘ Fotos von sieben US-Kampfflugzeugen und 90 schwerbewaffneten Gringos auf dem internationalen Airport Viru-Viru. Der bolivianische Informationsminister dementierte eiligst in einer Pressekonferenz seine frühere Manövermeldung als „Mißverständnis“, die US-Präsenz sei selbstlose Hilfe. Und General Jaime Zegada vom Luftwaffenministerium setzte vielsagend nach: „Wenn unser Land nicht so arm wäre, dann bestünde nicht die Notwendigkeit der Militärhilfe.“

Vor drei Jahren hatten die ersten gemeinsamen Manöver stattgefunden, als 220 US-Soldaten in dem südamerikanischen Land monatelang „Anti-Rauschgift-Einsätze“ probten; sie hatten 1986 ihre zentrale Basis in der Provinz Beni und Kasernen in der Nähe von La Paz und Santa Cruz errichtet. In der Provinz Pando, an der Grenze zu Peru, wo die Guerilla Sendero Luminoso aktiv ist, bauten sie einen eigenen Luftwaffenstützpunkt.

Vor drei Jahren hatte sich in La Paz eine „Verteidigungsjunta der nationalen Souveränität“ aus 50 politischen und gewerkschaftlichen Gruppen gebildet, die gegen die US-Präsenz zu Felde gezogen war. Im ganzen Land waren die Gringos auf Ablehnung gestoßen. „Ami go home“, hatte es vor allem in den Koka-Anbaugebieten geheißen. Offiziellen Schätzungen zufolge sind über eine halbe Million aller arbeitsfähigen Bolivianer, das entspricht einem Drittel der Bevölkerung, von der Koka oder dem Kokain wirtschaftlich abhängig.

Hatten 1986 die Manöver unter dem Stichwort Rauschgiftbekämpfung stattgefunden, was sich innenpolitisch zwar in den USA aber nicht in Bolivien verkaufen ließ, zogen im Mai '87 insgesamt 350 Gringos unter dem Schlachtruf „Aufstandsbekämpfung unter Dschungelbedingungen“ mit hochmodernem Kriegsgerät in den Beni. Dörfer wurden überfallen, die Bewohner zusammengetrieben, als Drogenhändler oder Guerilleros verdächtigt und gezwungen, stundenlang auf Knien auszuharren. „Wie in Vietnam“, so der Abgeordnete der „Demokratischen Linken“ Mario Rueda Pena, der heute bei der Regierungspartei MIR (Neue Mehrheit) ist, „soll die Bevölkerung an die US-Präsenz gewöhnt werden.“ Alle großen Parteien, auch der sozialdemokratische MIR, hatten die US-Manöver im Kongreß gebilligt.

Längst ist es in La Paz ein offenes Geheimnis, daß Washington Bolivien in einen festen Militärstützpunkt verwandeln will. Die Arbeiten in Potosi haben dabei nur kosmetischen Charakter. Laut derzeitiger Planung wird der Flughafen nur für Kleinflugzeuge aber nicht für normale Passagiermaschinen vom Typ Boeing 727 in Stand gesetzt, mußte der Präsident der regionalen Entwicklungsbehörde, Mario Espinoza, zugeben. Der Corpedo-Chef tröstet sich damit, daß zumindest ein Anfang gemacht sei. Wenn Pati-Pati erst platt sei, könne man die notwendigen zehn Millionen Dollar beantragen, um den Flughafen zu modernisieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen