: In Notwehr von hinten erschossen
■ Essener Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Polizisten wegen Todesschuß auf einen 13jährigen ein / Widersprüchliche ZeugInnenaussagen zugunsten der Beamten sortiert / Anwalt kündigt Beschwerde an
Essen (taz) - Staatsanwalt Schmalhausen hat letzten Freitag das Ermittlungsverfahren gegen zwei Polizisten eingestellt, die am 30.6. den 13jährigen Kemal C. nach einer Verfolgungsjagd durch Essen-Frohnhausen erschossen haben. Das Verhalten der Beamten, die an einem Kleingartengelände sechs Schüsse auf den auf dem Dach einer Laube stehenden Jungen abgegeben hatten, müsse „als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen werden“. Auch wenn keine Notwehr vorgelegen hätte, habe die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung einstellen müssen, weil die tödliche Kugel nicht gefunden worden sei. So sei nicht festzustellen, welcher der beiden Beamten den tödlichen Schuß abgab. Kemal C. starb an einem Durchschuß in der rechten Brustkorbhälfte, der ihn von hinten traf.
Der Polizeieinsatz insgesamt unterliege „nicht der rechtlichen Bewertung durch die Staatsanwaltschaft“. So konzentrierten sich die Ermittlungen auf die Ereignisse vor den Schüssen. 15 ZeugInnen wurden vernommen, die das Geschehen „zum Teil unvereinbar gegensätzlich“ (Staatsanwaltschaft) schilderten. Dennoch stützt die Staatsanwaltschaft ihre Notwehr-Konstruktion im wesentlichen auf vier Zeugen, darunter die Todesschützen. Sie sagten aus, der Junge habe vom Dach der Gartenlaube aus auf die Beamten mit der Pistole gezielt, die er zuvor einem Streifenbeamten abgenommen und mit der er mehrfach geschossen hatte.
Die Mehrheit der ZeugInnen meinte, Kemal C. habe nicht gezielt, einige bestritten sogar, daß er die Waffe noch in der Hand hatte, was die Staatsanwaltschaft damit erklärt, daß sie das Geschehen aus zu großer Entfernung beobachtet hätten. Außerdem wichen diese ZeugInnenaussagen „in Einzelheiten so stark voneinander ab, daß klare Rückschlüsse nicht zu gewinnen“ seien. Aber auch die Aussagen der beiden Todesschützen weichen stark voneinander ab: Während der eine Beamte aussagte, Kemal C. habe vom Dach aus auf sie geschossen, kann sich sein Kollege daran nicht erinnern.
Die Einstellung der Ermittlungen komme „nicht unerwartet“, kommentierten das AWO-Jugendwerk und der „Arbeitskreis Kemal C.“ die Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Immerhin habe Staatsanwalt Schmalhausen bereits vor Beginn der Ermittlungen erklärt, daß die Polizeibeamten „richtig gehandelt“ hätten. Scharfe Kritk übten sie auch an den Ermittlungen selbst. Der Rechtsanwalt von Kemals Familie kündigte an, Beschwerde gegen die Einstellung einzulegen.
Bettina Marksmeyer
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