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Sicherungsverwahrung erst später

■ Nach spätestens viereinhalb Jahren wird der Vergewaltiger Hans H. wieder entlassen

Der Vergewaltiger Hans H. wird nach seiner sechsten Tat nicht sicherungsverwahrt, sondern erst dann, wenn er sich nach seiner Haftentlassung das siebte Opfer in der Bremer Innenstadt gesucht hat. So läßt sich zynisch das Urteil zusammenfassen, das das Bremer Landgericht am Mittwoch nach sorgfältigem Abwägen gegen Hans H. fällte.

Zum 15. Mal hatte der alkoholkranke Stadtstreicher Hans H. in diesen Tagen vor Gericht gestanden, zum sechsten Mal angeklagt wegen einem sexuellen Gewaltdelikt. Zwischen diesen Taten war er immer wieder in Jugend-und Erwachsenengefängnisse eingesperrt und einmal ins Klinikum Bremen-Ost eingewiesen worden.

Im Frühjahr diesen Jahres hatte er die 15jährige Corinna F. in den Wallanlagen „sexuell genötigt, in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung und Körperverletzung.“ An der Schuld von Hans H. hegte die Kammer, wie der Vorsitzende Richter Karlgeorg Bohlmann klarstellte, „nicht den geringsten Zweifel“. Einfühlsam

schilderte die Staatsanwältin Claudia Traub in ihrem einstündigen Plädoyer die Tat aus der Sicht der Corinna F. Das Mädchen hatte einen Anschlußzug ins Umland verpaßt und deshalb die Nacht am Bahnhof verbracht. Sein anfängliches Mißtrauen gegen den „netten, interessanten“ Stadtstreicher Hans H. hatte es schließlich ganz verloren. Das Mädchen spazierte mit dem Mann bis zum Roland und schließlich auch in die Wallanlagen, wo er es in Todesangst versetzte und zu sexuellen Handlungen zwang. Dank seiner Geistesgegenwart, gelang es dem Mädchen jedoch zu fliehen, bevor die Vergewaltigung „vollendet“ war, wie es im Gerichsdeutsch so harmlos heißt.

Die Staatsanwältin plädierte dafür, für den Täter nach einer vierjährigen Haftstrafe Sicherungsverwahrung anzuordnen: „Seine Persönlichkeit ist so zerstört, daß ich nicht sehen kann, wie ihm anders geholfen werden kann, als ihn einzusperren. Die Sicherungsverwahrung bringt für ihn nichts Positives, aber er würde diese Straftaten nicht mehr

begehen. - Das ist traurig, aber im Ergebnis nicht mehr zu ändern. Es ist zu spät.“

Der Strafverteidiger Erich Joester hielt in einem genauso engagierten Plädoyer dagegen: „Ich gehe davon aus, daß Sicherungsverwahrung nicht in Frage kommt.“ Joester griff das Strafmaß von vier Jahren, das die Staatsanwältin gefordert hatte, dabei nicht an: „Das halte ich für in Ordnung.“ Er wandte sich jedoch dagegen, seinem Mandanten eine durch und durch negative Zukunftsprognose zu stellen, schließlich sei der Justiz bisher nicht mehr eingefallen, als ihn immer wieder einzusperren oder ihn einmal zur Therapie unterzubringen. Der Anwalt schlug eine Entziehungskur vor. Hans H. dürfe keinesfalls wieder völlig unvorbereitet entlassen werden, da dies mit großer Wahrscheinlichkeit wieder ein weibliches Opfer kosten würde.

Doch auch der Verteidiger wußte keine konkrete sozialtherapeutische Einrichtung in Bremen zu nennen, die für seinen Mandanten angemessen wäre. Der

Psychiater aus dem Klinikum Bremen-Ost, Dr. Axel Titgemeyer, hatte dem Gericht bereits klargemacht, daß seine Einrichtung sich nicht mehr zuständig fühlt. Titgemeyer sprach nebulös von einer „sozialtherpeutischen Schiene“, auf die der Angeklagte stattdessen gesetzt werden müsse.

Nach kontroverser Beratung entschied das Gericht, Hans H. für viereinhalb Jahre in Haft zu bringen - und dem Angeklagten eine anschließende Sicherungsverwahrung für die nächste Tat anzudrohen. Auf eine „sozialtherapeutische Schiene“ setzen kann den Angeklagten nur die „Strafvollstreckungskammer“, die über Bewährungsauflagen entscheidet. Doch dies würde voraussetzen, daß in Bremen überhaupt solch eine „Schiene“ existiert. Drei bis vier Jahre hat die Justiz jetzt Zeit, sich für ein solches Projet einzusetzen, spätestens dann wird sich Hans H. ansonsten vom Gefängnistor wieder Richtung Hauptbahnhof, Schnaps und seines siebten Opfers begeben.

B.D.

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