: Wandel durch Annäherung oder Abstand
Streit um Gespräche zwischen SPD-Delegation und SED in Ost-Berlin / Renger und Wischnewski finden es falsch, jetzt noch ausführliche Kontakte zur SED zu pflegen / CDU hetzte im Bundestag gegen den Reformdialog / Ehmke: Polemik sei kalter Krieg ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
„Wandel durch Annäherung“, Wandel durch Abstand“ - die Fluchtwelle von Menschen aus der DDR scheint die SPD mit ihrer Ostpolitik in eine Identitätskrise zu bringen. Jüngstes Beispiel: Nächste Woche fährt eine vierzehnköpfige Delegation von SPD-Abgeordneten unter der Leitung des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ehmke in die DDR. Dort sprechen sie mit Funktionären der SED, mit Mitgliedern der Volkskammer und der DDR-Regierung.
Geplant sind außerdem Treffen mit Kirchenvertretern und oppositionellen Reformgruppen. Zum Abschluß soll eine internationale Pressekonferenz in Ost-Berlin stattfinden.
Zwar befürworten die meisten Sozialdemokraten in der Bundestagsfraktion diesen Besuch. Andere sind jedoch skeptisch, manche dagegen. Annemarie Renger und Hans-Jürgen Wischnewski etwa finden es falsch, jetzt noch ausführliche Kontakte zur SED zu pflegen. Und auch Norbert Gansel kritisierte seine Partei und Fraktion vorgestern in der 'Frankfurter Rundschau‘: Vonnöten sei nicht, wie lange Zeit propagiert, ein „Wandel durch Annäherung“, sondern ein „Wandel durch Abstand“. Intensive Kontakte zur SED würde diese zum Beleg ihrer Liberalisierung ausnutzen und im Inneren damit ihre Politik rechtfertigen.
Und auch die Grünen warfen in einer Aussprache gestern im Bundestag der SPD vor, bei ihren Gesprächen mit der SED -Führung nicht offen den Weg zu Vertretern kirchlicher und unabhängiger Basisgruppen gefunden zu haben. „In die Umgestaltung der bisherigen sozialistischen Gesellschaften müssen Reformkräfte außerhalb und innerhalb der alten Strukturen einbezogen werden.“ So begründete Horst Ehmke vor Journalisten gestern in Bonn, weshalb seine Fraktion an den Kontakten zur DDR-Regierung und den Regierungen der anderen kommunistischen Staaten festhalte - auch im Rahmen der Reise nächste Woche. Die von Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik habe zunächst Regierungskontakte und Verhandlungen über die Themen Sicherheit und Frieden notwendig gemacht. Erst in der zweiten Phase der Entspannungspolitik hätten die Themen Reformen, Menschenrechte, Freiheit, Pluralismus und Demokratie einen Platz „auf der europäischen Tagesordnung“ finden können.
Die Sozialdemokraten müssen nach Ehmkes Ansicht mit Regierung und Opposition sprechen, denn die Reformkräfte aus beiden Lagern seien aufeinander angewiesen. Mit Kritik an der SED sparte zwar auch Ehmke nicht: Sie habe den „Reformdialog“ abgebremst. Allerdings sei es die SPD „unseren Landsleuten, die in der DDR ausharren“, schuldig, weiter von der SED Reformen zu fordern und deswegen auch mit ihr in Kontakt zu bleiben. SPD-Vorsitzender Vogel argumentierte in der gestrigen Bundestagsaussprache so: Auch Gespräche mit der SED seien notwendig, um zu verhindern, „daß im Herzen Europas unberechenbare Vorgänge in Gang kommen“ und der Friedensprozeß in Europa gefährdet werde.
„Skandal“, „Schlag ins Gesicht für alle, die die Reformkräfte in der DDR stärken wollen“, „Falsches Signal zur falschen Zeit“, „Aufwertung des Scheinparlaments Volkskammer“... So hatten hochrangige CDU-Politiker gegen den Besuch in der nächsten Woche gehetzt. Zwar pflegt die Bundesregierung weiterhin still ihre wirtschaftlichen und politischen Kontakte zur DDR. Offiziell ist für sie Deutschlandpolitik immer mehr der Empfang der DDR -Flüchtlinge.
„Weiterhin Geschäfte machen, gleichzeitig einen wüsten Propagandafeldzug starten“, das sei heuchlerisch und schizophren, so urteilte Horst Ehmke über die Strategie der Union. „Rettet die Freiheit“, „Freiheit statt Sozialismus“ auch mit Aktionen nach dem Motto dieser alten Parolen versucht die CDU derzeit wieder stärker die Systeme im Osten Europas zu diskreditieren. Für Horst Ehmke ist „diese Polemik zu rechten Wahlkampfzwecken“ kalter Krieg.
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