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Ungarn will neue Verträge mit der DDR

■ Vizebotschafter tritt Spekulationen über Schließung entgegen / 50 DDR-Bürger in Bonner Botschaft in Warschau / 'adn‘: „Arbeiter und Bauern schließen sich noch enger um die SED und ihren Generalsekretär“

Berlin (ap/taz/afp) - Ungarn möchte neue Verhandlungen über seinen 1969 mit der DDR geschlossenen Vertrag führen, der es Budapest nicht erlaubt, DDR-Bürgern die freie Ausreise aus Ungarn in ein westliches Land zu gestatten. Der ungarischen Nachrichtenagentur 'mti‘ zufolge hat das Politbüromitglied Maria Ormos „diese Möglichkeit in ihren Gesprächen mit SED -Vertretern am Mittwoch und Donnerstag“ in Ost-Berlin erörtert. „Frau Ormos hat vorgschlagen, Verhandlungen über eine für beide Teile akzeptable Lösung auf Expertenebene aufzunehmen.“ SED-Politbüromitglied Hager habe betont, daß die „DDR die Aufrechterhaltung des Vertrages in seiner Form von 1969 wünscht“, und hervorgehoben, daß die Entscheidung Ungarns, den Vertrag außer Kraft zu setzen, „gegen die Interessen der sozialistischen Länder verstößt“.

Die ungarische Grenze bleibt nach Angaben von Budapester Diplomaten trotz gegenteiliger Spekulationen weiterhin für DDR-Ausreisende geöffnet. In einem Rundfunk-Interview widersprach der stellvertretende Botschafter Ungarns in Bonn, Sandor Peisch, am Donnerstag Gerüchten, denen zufolge Budapest ab 7. Oktober - dem 40. Jahrestag der DDR - die Grenze nach Österreich schließen wolle mit vorsichtigen Worten: „Wir haben keinerlei Informationen darüber, ob die Ungarn die Grenze zumachen möchte oder nicht“.

Hinsichtlich der Spekulationen über die Absicht der DDR, möglicherweise ihre Grenze nach Ungarn zu schließen, erwiderte Vize-Botschafter Peisch: „Nein, das glaube ich kaum. Ungarn ist nach wie vor ein beliebtes Ziel für die Touristen aus der DDR. Und ich glaube, diejenigen, die nach Ungarn kommen, kommen nicht nur ausschließlich mit dem Ziel, über Ungarn in die Bundesrepublik zu kommen.“

Unterdessen wurde gestern bekannt, daß in der Bonner Botschaft in Warschau sich zum Teil seit Wochen 52 DDR -Ausreisewillige aufhalten. Die Bundesregierung führe „intensive Gespräche“, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mit. In der Prager Botschaft halten sich immer noch gut hundert DDR-Bürger auf, nachdem über 300 das Gebäude verlassen hatten. Ungeachtet des neuerlich angewachsenen Zustroms der DDR-Bürger übte sich die SED gestern in Frohsinn. Deren Berliner Bezirkssekretär Schabowski erinnerte an die „Lebenskraft des Sozialismus“. Politbüromitglied Krolikowski präzisierte: „Arbeiter und Bauern, die überwältigende Mehrheit des Volkes, schließen sich in diesen Tagen noch enger um die SED, ihr Zentralkomitee und dessen Generalsekretär.“ Und die 'Junge Welt‘ verbat sich erneut Reformratschläge - wie gestern im Bonner Bundestag erneut verlangt - mit dem Hinweis darauf, die DDR würde ja auch nicht von der Bundesregierung die „Einführung von Glasnost in Politik und Wirtschaft der BRD“ verlangen.

peb

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