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Barbarisches Europa

 ■ Otar Iosseliani über seinen neuen Film „Und es ward Licht“,

der in Venedig mit dem

„Großen Spezialpreis der Jury“ ausgezeichnet worden ist

Der 1934 in Tiflis, Georgien, geborene Otar Josseliani lebt seit 1982 in Paris. In der Sowjetunion war ihm immer wieder verboten worden, als Regisseur zu arbeiten. 1984 hatte er großen Erfolg mit „Günstlinge des Mondes“. Sein neuester Film „Und es ward Licht“ ist ein Märchen, das aussieht wie ein Dokumentarfilm. Es handelt von der Zerstörung einer afrikanischen Idylle.

Am Anfang stand das Bild eines Ortes. Eines Ortes, der das genaue Gegenteil der uns umgebenden Welt repräsentiert. Bewohnt ausschließlich von Schwarzen. Der Europäer hält sich, wenn er in den Spiegel sieht, für das Produkt einer einzigen, wichtigen Kultur. Er macht sich nicht klar, daß Kultur sich daran bemißt, wie nützlich und friedlich das gesellschaftliche Leben, die zwischenmenschlichen Beziehungen organisiert sind. So gesehen hat Europa keine Kultur hervorgebracht. So gesehen sind wir Barbaren.

Am Anfang also müßte ein utopischer Ort, eine Idylle stehen: etwas, was die Menschheit für immer verloren hat. Ein Dorf mitten im Wald, voller Geheimnis, in dem Menschen, Tiere und die Natur in vollkommener Harmonie leben. Die Arbeit am Film bestand in erster Linie im Kampf gegen dieses Schema. Zur Änderung meines Plans zwang mich das Leben in eben dem afrikanischen Dorf, in dem wir das Glück hatten, den Film drehen zu können. (Nicht etwa: drehen zu dürfen? - Oder habt ihr die Einwohner nicht gefragt? die Barbarin.) Es ist eines der ganz seltenen afrikanischen Dörfer (in Casamance, im südlichen Senegal), in dem die zwischenmenschlichen Beziehungen noch so sind, wie ich sie haben wollte. Das Verblüffende dabei ist, daß zehn Kilometer links, zehn Kilometer rechts von diesem Dorf sich andere Dörfer befinden, die kulturell längst zerstört sind, mit faulen, bösen, verschlagenen Bewohnern. Die alle von der kolonialen Vergangenheit ererbten Fehler haben.

In unserem (oh, es gehört euch?!? d.S.) vom Stamm Diola bewohnten Dorf dagegen sind die Leute zart, empfindsam, kultiviert. Keine Hexerei, kein „Schamanentum“. Nichts, was ein Reisender einfach romantisch ausnutzen könnte. Es gab eine wirklich humane Kultur. Ich war sehr beeindruckt. So stellte ich mir die Vergangenheit vor, deren Zeuge in einigen Gegenden Georgiens ich in meiner Kindheit noch gewesen war. Trotz der großen Entfernung zwischen den Bergen des Kaukasus und dem afrikanischen Urwald spürte ich eine große Affinität. Darum habe ich mir auch erlaubt, das lebende Material des Films zu manipulieren. (No comment! d.B.) Ich hatte geglaubt, es wäre mühsam, die Eingeborenen dazu zu bringen, meine Personen zu spielen. Aber die Diola hatten gemerkt, daß wir sie nicht angreifen wollten, daß wir etwas machten, was sie moralisch akzeptieren konnten. Ich habe sie auch nur ein wenig manipuliert. Wie auch das Leben in meinem (!) afrikanischen Dorf meinen Film ein wenig manipuliert hat. Alles war schon „fertig“. Lüge und körperliche Gewalt gibt es in diesem Dorf nicht. Kinder und Alte werden gleich geachtet, Mann und Frau sind gleichgestellt. Gemeinheit, Eifersucht, Ausbeutung, all das, was unser Leben so unerträglich macht, gibt es nicht. Darum haben die Leute dort diesen offenen Blick, sehen sich direkt in die Augen, ihr Leben ist voller raffinierter polyphoner Gesänge, Zeugnisse einer hohen Kultur. So entglitt der Film langsam meiner Hand und nahm seine eigene Form an. In der zu Anfang erdachten idyllischen Gesellschaft fanden sich jede Menge kleiner, alltäglicher Konflikte. Die Gleichstellung von Mann und Frau befreit eine Gesellschaft nicht von allen Leiden. Das ist kein Paradies, in dem jemand zum anderen sagt: „Ich liebe dich nicht mehr“. Und so mußte ich, der Demiurg dieser Welt, mir kleine alltägliche Konflikte einfallen lassen. Ich erfand ein paar, um die Idylle glaubhaft zu machen. Ich versuchte, das Wahre wahrscheinlich zu machen durch den Schatten des „Un-Wahren“.

In die neue Form des Films ging auch mein altes Vorhaben ein, in Form eines Märchens von einem anderen, größeren Konflikt zu erzählen: dem der Zerstörung einer Kultur. Zum Beispiel der Georgischen. Aber ich hatte darüber keinen Film drehen wollen und können, der distanziert genug gewesen wäre: Georgien als ein Wassertropfen, in dem sich alle alten und alle gegenwärtigen Konflikte spiegeln. In Afrika roch ich wie ein alter Spürhund schon von weitem den Geruch dieses alten Vorhabens. Afrika und die Wälder, die systematisch abgeholzten Wälder. Dazu eine Wüste, die jedes Jahr 45 Kilometer vorwärtskommt. Ich habe zu vermeiden versucht, daß der Film nach „Ökologie“ schmeckt. Ich kann das Gejammer der Leute nicht ausstehen, die weinen über die Zerstörung der Natur, aber weiter Radio, Fernsehen und Telefon benutzen (all das ist schließlich Ergebnis der Naturzerstörung). Mich interessierte das Verschwinden jener Güter, die eine Kultur zu einer friedlichen machen, durch das Eindringen fremder Menschen (z.B. Filmemacher. d.S.). Durch Invasoren, die zu diesen Gütern keine „kulturelle“ Beziehung aufnehmen, sondern sie mit dem verachtungsvollen Blick des Konsumenten betrachten. Die Invasoren sind nicht die Weißen, sondern andere Schwarze. Sie sind auch keine Invasoren im ursprünglichen, militärischen Sinn. Sie verachten nur die Werte ihres Landes. Daher rührt ihre Stärke. So war es auch als die Russen nach Georgien kamen. Und es ward Licht ist im Grunde ein ganz und gar georgischer Film. Er gibt wieder, was ich fühle, wenn ich an mein armes, kleines Land denke.

Ich weiß natürlich, daß früher oder später auch dieses Dorf in Casamance so mitleidlos zerstört werden wird wie seine Umgebung. Der Film ist auch ein Zeugnis des letzten Widerstands einer anderen Kultur im afrikanischen Drama unserer Tage.

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