: SPD darf nicht nach drüben reisen
DDR-Volkskammerpräsident Horst Sindermann lädt SPD-Delegation wieder aus / Der SPD wird „direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“ vorgeworfen / Ehmke: „Fadenscheinige“ Begründung / Klammheimliche Freude bei den Christdemokraten ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
14 SPD-Abgeordnete, die nächste Woche in die DDR reisen wollten, müssen hierbleiben - Ost-Berlin hat sie gestern wieder ausgeladen. Horst Sindermann, Präsident der DDR -Volkskammer, teilte das Horst Ehmke, dem Leiter der Delegation und stellvertretender Vorsitzender der SPD -Bundestagsfraktion, mit. In dem Schreiben ohne Anrede, dem „non-paper“, wie Ehmke es in einer eilig anberaumtem Pressekonferenz nannte, macht Sindermann die SPD für das Platzen der Reise verantwortlich: Die jüngsten Äußerungen Ehmkes und des Parteivorsitzenden Hans-Jochen Vogel zur DDR seien „voll und ganz nur auf Konfrontation und direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR“ gerichtet gewesen. Die geplante Reise ziele nur darauf ab, die Spannungen zu erhöhen. Sindermann bezog sich dabei offensichtlich auf Äußerungen Vogels und Ehmkes vom Donnerstag. In einer Debatte des Bundestages hatte der SPD -Vorsitzende die DDR-Führung heftig kritisiert: Gerade jetzt müsse man mit denen reden, die für die „krisenhafte Entwicklung“ verantwortlich seien, sagte Vogel. Horst Ehmke hatte auf einer Pressekonferenz mehrfach betont, daß seine Delegation sich nicht nur mit offiziellen Vertretern der DDR -Führung, sondern auch mit Oppositionellen treffen werde.
Horst Ehmke wies die Vorwürfe aus Ost-Berlin als „fadenscheinig“ zurück. Es stelle keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR dar, wenn von sozialdemokratischer Seite die im gemeinsamen Streit und Dialogpapier allseits anerkannte Notwendigkeit offener Diskussionen gerade jetzt eingefordert würden. Die Absage bedeute, daß sich offenbar zunächst jene durchgesetzt hätten, die jede Reform und jede Diskussion über Reformen verweigerten. Allerdings, so Ehmke, bleibe die SPD gesprächsbereit.
In Bonn brach nach Bekanntwerden der Absage aus Ost-Berlin Schadenfreude aus. Als „eine schallende Ohrfeige“ wertete Friedrich Bohl, Parlamentarischer Geschäftsfüherer der CDU/CSU-Fraktion, die Absage. Der Grüne Helmut Lippelt will in der Reaktion Ost-Berlins eine „Quittung für die Haltung der SPD gegenüber ihrer heiligen SED“ sehen.
In der DDR-Führung scheint es zur Ein- und Ausladung Meinungsverschiedenheiten gegeben zu haben. Noch gestern vormittag verteidigte SED-Politbüromitglied Harry Tisch den Besuch. Tisch meinte „es wäre das gefährlichste und Schlimmste, was uns passieren könnte“, wenn man auf Konfrontationskurs gehe. Dafür, daß die DDR-Führung sich nicht einig war, gibt es noch ein weiteres Indiz. Erst gestern erhielt Horst Ehmke eine Bestätigung aus Ost-Berlin: Die Reise werde stattfinden.
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