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Bremen: Kein großer Bahnhof

■ Blasmusik und gebrauchte Mülleimer: Der Bremer Bahnhof feierte den 100.

High-Tech-Zug zu Gast im old-fashioned Bahnhof Foto: Wolfram Steinber

Die Bahn ist ja eine ziemlich sympathische Einrichtung. Von ihrem Geburtagsgsfest - 100 Jahre Bremer Bahnhof - kann man bestenfalls sagen: Von vorn nach hinten wurde es besser. An die geschmacklosen Glasdächer mit dem Charme eines kleinstädtischen Einkaufsparadieses, die vor der historischen Fassade kleben, wurden die BremerInnen und die um- und aussteigenden Fahrgäste ja schon zwangsgewöhnt. Unter und vor diesen wurde ab Samstag schwer Stimmung gemacht. Wenn nicht gerade seichte Tanzbarmusik aus den Lautsprechern ganz unzart über den Platz dröhnte, bestiegen waschbrettgerüstete Life-Musiker das Podium und gaben „Rucki -Zucki“ und „Wir versaufen unsrer Omma ihr klein Häuschen“ zum besten, animierten das eher reglose Publikum mit „Mensch, Ihr seid Spitze!!!“. Vergeblich. Dann kam das (gemischtgeschlechtliche) Blasorchester der Bundesbahn, 1934 in Bremen als „Reichsbahn-Werkskapelle“ gegründet, in vollem Ornat schon besser an. Titel auf den an einem Campingtischchen passend feilgebotenen Langspielplatten: „Tiroler Alpen“, „Deutschmeister-Regiments-Marsch“, „Die alte Dampflok“. Einen Klecks Erbsensuppe (drei Mark) auf Pappe und ein schnelles Bier in Plastik - die so Abgefertigten suchten drinnen nach Bahngeburtstäglichem. Matt blinkten zwei Fahrräder, hoch auf der Croissant-Bude angebracht, über die Köpfe hinweg - Tombola-Gewinne.

Loks zum Anfassen gab es auf Gleis eins, und das war spannend. Waren nicht mit dem eierschalenweißen „ICE“ Raissa Gorbatschow und ihr Mann jüngst von Bonn nach Duisburg tiefgeflogen? „Is‘ schon alles schmutzig, siehste das?“ bemerkte eine der vielen, die sich von vorn bis hinten durch den Demonstrationszug schoben - die geräumigen Sitze waren schließlich hellindgrün bezogen und für so viel normales Volk nicht vorgesehen. Richtig feudal präsentierten sich die Erste-Klasse-Abteile, mit Sitzgruppen, Konferenz-Raum, Flugzeug-Tischchen, alles in grau und brombeerfarben.

Auf dem Bahnsteig gab es für Eisenbahnliebhaber mit Ausstattungsbedarf gebrauchte DB-Mülleimer inklusive Zigarettenkippen (rund 15 Mark) und Papiertuch-Spender aus Zug-Klos zu kaufen, außerdem die altmodischen Schaffner -Knipstaschen (150 Mark) und Münzen, Stempel, Medaillen.

Eher altmodisch neben der futuristischen Schwester machte sich die feuerrote Drehstromlok; Groß und Klein durften ins Führerhäuschen klettern und sich erfreuen an den liebenswert runden Instrumenten mit richtigen Zeigern, den Knips -Schaltern und Hebeln. Undigitalisiert und ganz ohne Sensor -Tasten. Mit richtigen Schienen, Weichen und Signalen waren hinter dem Hundertjährigen, Nordausgang, ein paar Stückchen Bahn aufgebaut. Da konnten Kinder und Papis Signale verstellen, Einfahrten gewähren oder sperren, Schranken senken. S.P

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