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Der Abriß des Kleeblatts ist kein Tabu mehr

■ Stadtentwicklungsbehörde sieht größere Wohnungsbaureserven durch den „Rückbau“ von Straßen / Schöneberger Autobahnkreuz geprüft / Engere Fahrbahnführung auch An der Urania? / Senator Wagner macht Schwierigkeiten / „Neues Denken hat noch nicht Einzug gehalten“

Buchstäblich auf die Straße setzen will Umweltsenatorin Schreyer die Wohnungssuchenden. Die Einschätzung von Bausenator Nagel, daß durch den „Rückbau“ von überdimensionierten Straßen Flächen für wenige hundert Wohnungen gewonnen werden könnten, wird in ihrer Senatsumweltverwaltung nicht geteilt. Im Gegenteil: Mindestens 1.000 Wohnungen könnten mittelfristig dort untergebracht werden, schätzt man in der Umweltbehörde. Allein aus ökologischen Gründen sei der forcierte Rückbau erforderlich, so ein verantwortlicher Verkehrsplaner der Verwaltung.

Allemal bringe der Straßenrückbau „mehr als eine herkömmliche Baulückenschließung“, meinte der Referatsleiter für Stadtgestaltung und Wettbewerbe, Bernd Faskel. Er kündigte an, daß die Behörde den anderen zuständigen Verwaltungen in den nächsten Wochen und Monaten „mit Vehemenz“ konkrete Vorschläge unterbreiten werde, wo sie überall Möglichkeiten eines sinnvollen Rückbaus sieht.

Augenblicklich untersuchen die Stadtplaner im Hause Schreyer den Flächengewinn, der sich aus dem Abriß des Schöneberger Autobahnkleeblatts südlich des Sachsendamms ergäbe. Bereits in einem Monat seien diesbezügliche Ergebnisse zu erwarten, sagte Faskel. Das Autobahnkreuz mache durch den Stopp der Planungen für eine Nord-Süd-Straße keinen Sinn mehr. Es reiche, die von Steglitz kommende Trasse der Westtangente in einem platzsparenden Bogen direkt zum Autobahntunnel des Stadtrings am Insbrucker Platz zu führen.

Ernsthaft geprüft wird weiter die „Requalifizierung“ der Steglitzer Schildhornstraße zur Wohnsammelstraße, und zwar in dem Abschnitt vom Breitenbachplatz bis zur Lepsiusstraße. Seit langem klagen lärmgeplagte Anwohner über den Durchgangsverkehr, der sich von dem am Breitenbachplatz endenden Autobahntorso längs der Schlangenbader Straße zur Autobahnauffahrt Tiburtiusbrücke quält. Durch die teilweise Verschmälerung der Schildhornstraße könnte eine noch nicht ermittelte Zahl von Wohnungen entstehen, erklärte Faskel.

Besondere Priorität hat der Umbau des Straßenzugs Lietzenburger Straße/An der Urania zwischen Ansbacher Straße und Kurfürstenstraße. Über die Kreuzung an der Kleiststraße sollte einmal eine schönfärberisch „flyover“ genannte Hochbrücke einer Südtangente den Weg in Nordrichtung ebnen. Von dem automobilen Größenwahn übrig blieb ein bis zu 30 Meter breiter Mittelstreifen. Die Planer in Schreyers Stadtentwicklungsressort wollen dieses nutzlose Abstandsgrün beseitigen und die nördlichen an die südlichen Fahrbahnen heranrücken. Allein in dem Bereich nördlich der Lietzenburger Straße bis zur Ecke Kleiststraße könnte man laut Faskel Platz für den Bau von 100 bis 200 Wohnungen gewinnen.

Einen „heißen Stiefel“ befürchtet Faskel in den noch ausstehenden Abstimmungen sowohl mit der Verkehrsverwaltung als auch mit dem Bezirk Schöneberg. In der Tat signalisiert man in der Umgebung von Verkehrsenator Wagner deutliche Skepsis: Grundsätzlich sei vor jedem Umbau von Hauptverkehrsstraßen zu bedenken, daß man „Verkehrsströme“ beeinträchtige und anders lenke, heißt es dort. Der Bezirk hat zwar nichts gegen einen Umbau, präferiert aber zusammen mit der Grundstückseigentümergesellschaft Gewobag eine Bebauung der Südseite der Lietzenburger Straße. Faskel zufolge ein müßiges Unterfangen, weil die in der Bauordnung vorgeschriebenen Abstandsflächen fehlen: „Da kann man vor die Hochhäuser nicht nochmal was davorsetzen.“

Keine Schwierigkeiten sah der Referatsleiter bei der Umsetzung eines anderen Vorhabens. In Zusammenhang mit der Bebauung des sogenannten Klingelhöferdreiecks zwischen Stühlerstraße und Landwehrkanal wollen die Planer der Klingelhöferstraße auf beiden Seiten jeweils etwa zehn Meter abgewinnen: Spielraum für eine „Bebauungskante“ vor dem Hotel Berlin. Das ist freilich Zukunftsmusik. Bedenke man den zeitlichen Vorlauf und die obligatorischen Bebauungsplanverfahren, seien durch die Verengung von Straßen ohnehin nur mittelfristig Wohnbauflächen zu gewinnen, schränkte Faskel ein.

In die Gänge gekommen sind immerhin zwei Pilotprojekte. Als „Beispiel für die neue Stadtentwicklungspolitik“ konnte Staatssekretär Groth Ende Juli erste Architektenentwürfe für den Umbau des Tegeler Schloßplatzes präsentieren. Die Wettbewerbspläne sehen den Wegfall von jeweils einer Fahrspur der Berliner Straße vor. An der Straße zum Tegeler Hafen sollen 70 Wohnungen und Geschäftsräume entstehen.

Erst vor zwei Wochen startete ein anderer städtebaulicher Wettbewerb. Bei ihm geht es um die Verengung der Hohenstaufenstraße in Schöneberg auf die „historische Gesamtbreite“ von 26 Metern. Auf den neu gewonnenen Flächen zwischen Eisenacher und Münchener Straße möchte die städtische Gesellschaft DeGeWo 150 bis 200 Wohnungen hochziehen. Unterdessen hat die Bauverwaltung gezielt die SPD- und AL-Baustadträte in den Bezirken um Überprüfung gebeten, welche weiteren Straßen rückbaubar sind. Leider habe in die von SPD-Senator Wagner geführten Verkehrsverwaltungen „das neue Denken im Geiste der Koalitionsvereinbarung noch nicht Einzug gehalten“, kritisierte Bausenator Nagels persönlicher Referent Matthias Zipser. Der Nagel-Adlatus: „Die hocken auf jeder Fläche.“

thok

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