: Aussteiger statt Flüchtlinge
Herr Rühe hat den beabsichtigten Besuch einer SPD-Delegation in Ost-Berlin als „instinktlos“ und „Verrat an den Flüchtlingen“ bezeichnet. Ich finde es instinktlos und ungeheuerlich, von „Flüchtlingen“ zu reden, wo es sich allenfalls um „AussteigerInnen“ handelt, die, wie sie ihre Motive zum Verlassen der DDR selbst beschreiben, „die Nase voll haben“.
Politisch oder rassistisch verfolgte Menschen, zum Tode oder KZ verurteilt, wenn ihnen die Flucht nicht rechtzeitig gelang, mit dem frisch fröhlichen, zum Teil motorisierten Treck aus der DDR gleichzusetzen, indem er sie Flüchtlinge nennt, ist mehr als geschmacklos, es ist infam! Denn hinter dieser widerlichen Gleichsetzung verbirgt sich nichts anderes als die geile Sucht des uralten Kriegers, einen teuflischen Feind neu ins Leben zu rufen, einen wild gewordenen Tyrannen, vor dem man fliehen muß. Aus ganz normalen AussteigerInnen, die verständlicherweise Bevormundung und Reiseverbot satt haben, macht er „Flüchtlinge“, ohne sich vor jenen zu schämen, die die Bedeutung dieses Wortes in seiner ganzen Grausamkeit und Unmenschlichkeit haben kennenlernen müssen.
Dr.Georg F. Rosenstock, Reinbek bei Hamburg
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