piwik no script img

Es war lustig mit ihm...

■ Mit Eva Reich sprach Manfred Heinfelder über ihren Vater Wilhelm, über ihre und seine Arbeit, über Orgasmus und Orgon

Eva Reich ist gelernte Ärztin und Psychotherapeutin - und sie ist die Tochter eines der umstrittensten Psychoanalytiker, Wilhelm Reich. Der 1897 in Galizien geborene Reich war ein Schüler Sigmund Freuds, er richtete dessen Theorien auf die Sexualität im weitesten Sinne aus, er versuchte, Marxismus und Psychoanalyse zu verbinden: Mitte der dreißiger Jahre legte er ein psychoanalytisches Erklärungmodell für die Machtübernahme der Nationalsozialisten vor, das 35 Jahre später in der Bundesrepublik als Raubdruck ein Bestseller der Studentenbewegung wurde, „Massenpsychologie des Faschismus“. Danach hat Reich in Skandinavien und in den USA mit einer neuen Energie experimentiert, die er als seine Entdeckung ausgab. Sie brachte ihm - wie oft in seinem Leben Verfolgung und diesmal auch Gefängnis ein. Im Gefängnis starb Wilhelm Reich am 3.November 1957. Seine Werke und Labors hatten die US-Behörden zuvor vernichtet. Er selbst verfügte testamentarisch, daß seine Manuskripte bis in das Jahr 2007 unter Verschluß gehalten werden sollen. Seine Tochter Eva war Reichs Mitarbeiterin, sie stützt sich heute noch wie viele sogenannte neoreichianische Gruppen und Initiativen in der Bundesrepublik auf die Ideen und das Lebenswerk ihres Vaters.

Frage: Sie wurden als Tochter von Wilhelm und Annie Reich 1924 in Wien geboren. Ihr Vater war Mediziner und Psychotherapeut. Ihre Mutter hat auch Medizin studiert und sich für Psychoanalyse interessiert. Hat der Beruf Ihrer Eltern Einfluß auf Ihre Erziehung gehabt?

Eva Reich: Ja, natürlich. Beide Eltern waren Psychoanalytiker in Wien in den zwanziger Jahren. Daher bin ich aufgezogen worden mit den Erziehungsideen der Psychoanalytiker: Das hieß Anpassung an die Welt, Zähmung der wilden Triebe eines Kindes, das sublimieren lernen muß. Ich habe darunter gelitten, daß meine Eltern mir nicht sehr viel Körperkontakt gegeben haben. Sie waren der Meinung, daß man damit die Kinder verführt, einen Ödipuskomplex produziert, und ein bißchen mehr Distanz sei besser. Ich bin zum Beispiel nie in das Elternbett gekrochen.

Die Ideen, die mein Vater später über Erziehung entwickelte, hat er bei mir noch nicht angewandt. Zum Beispiel die Selbststeuerungserziehung wurde bei mir nicht angewandt, man hat mich nach den damals üblichen Ideen erzogen. Ich wurde genau alle vier Stunden gefüttert, und da meine Eltern sehr beschäftigt waren, wurde ich oft an Mädchen und Kinderheime deligiert und nicht von meiner Mutter selbst betreut. Damals habe ich etwas entwickelt, was wir jetzt „maternal deprivation syndrom“ nennen, Sehnsucht nach der Mutter. Das interessiert mich, weil jetzt diese Probleme auftreten mit Müttern, die arbeiten müssen. Ich war damals noch glücklicher dran, weil ich von ungefähr zehn Monaten bis zum Alter von sieben Jahren ein Kindermädchen hatte. Diese Mitzi Milberger hatte den besten Einfluß auf mich.

Einer der Biographen Ihres Vaters hat einmal behauptet, Wilhelm Reich habe ein bourgeoises Leben geführt und er habe viel Wert auf gute Erziehung, auf gutes Benehmen gelegt.

Das ist erfunden. Niemand hat mich gelehrt, wie man sich benimmt. Ich war eine Zeitlang ein ziemlicher Kerl, der allen Leuten die Wahrheit gesagt hat, was ziemlich unhöflich war. Mein Vater war eigentlich bei meiner Erziehung gar nicht dabei, er war ziemlich beschäftigt. Dazu kam die Trennung meiner Eltern, ungefähr zwischen 1930 und 1933. Als Hitler zur Macht kam, gingen beide weg von Deutschland, in jeweils andere Richtungen. Da gab es auch eine offizielle Scheidung, die besagte, die Kinder könnten sich im Alter von 14 Jahren entscheiden, mit wem sie leben wollten. Meine Mutter hat mich dann sehr systematisch gehirngewaschen, eben daß mein Vater nicht gesund sei und daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben solle. Das habe ich eine Weile auch geglaubt. Ich ging damals zurück nach Wien und habe für vier Jahre in einer kleinen Pension für Kinder gelebt, wo übrigens auch ein Enkel von Trotzki war. Das war keine sehr glückliche Periode für mich. Gerettet hat mich, daß man mich mit fünf Jahren auf eine gute Montessori-Schule geschickt hatte. Dort hatte ich gelernt, mich selber zu finden, zu denken, und kriegte so sehr viel Gutes mit, was lebenslang anhielt.

Was meinen Vater angeht - mein Haupteindruck war, daß er ein sehr lustiger Vater war. Er hat Harmonika gespielt. Wir hatten ein Spiel, das hieß Schumpanadel, wo man Gesichter macht und miteinander in einer Srache spricht, die hieß „kapustisch“. Das hat er erfunden. Es war lustig mit ihm, und sein Einfluß auf mich war sehr tief, weil er von Anfang an mit mir geredet hat wie mit einem fast Erwachsenen. Es war eine Art Ernstnehmen des Kindes. Daraus hat sich eine gute intellektuelle Beziehung entwickelt, die wirklich lebenslang da war. Er hat mir immer seine Ideen erzählt und Pläne gesponnen. Ich war jemand, mit dem er gerne redete.

Ihr Vater hat als Psychoanalytiker gearbeitet. Er hatte eine Privatpraxis, er hat in Kliniken praktiziert und er hat in einem Ambulatorium für Mittellose gearbeitet. Er therapierte also Leute, die es sich nicht leisten konnten, privat zu einem Psychotherapeuten zu gehen.

Er hat lebenslang gesagt, die Psychotherapie kann nicht alle erreichen, die sie brauchen. Und er hat auf der anderen Seite gesagt, daß man sich nicht anpassen kann, die Welt sei zu verrückt. Also, die Summe der individuellen Neurosen und Verrücktheiten ist die Summe der Weltverrücktheit. Jetzt wird immer klarer, daß er damit recht hatte. Anpassung ist überhaupt nicht die Antwort. Zweitens könne man Neurosen verhindern, indem man den Menschen die Dinge, die ihnen wehtun, nicht mehr antut. Zu seiner Zeit, in den zwanziger Jahren in Wien, war das die sexuelle Unterdrückung der Jugendlichen, der vorehelichen Liebespaare und der Kinder, und die Frage der sexuellen Aufklärung.

Sexualität ist ein Begriff, der immer mit der Arbeit Ihres Vaters in Verbindung gebracht wird. Wilhelm Reich hat ja in diesem Bereich einen Begriff geprägt, „orgiastische Potenz“ heißt er. Was ist damit eigentlich gemeint?

Das ist ein bißchen schwer in Worten zu erklären. Mein Vater hat da wirklich eine neue Therapie gefunden. Er hat bei seiner therapeutischen Arbeit bemerkt, daß eine wellenartige Bewegung durch den Körper geht, daß die Atmung erst in die Brust, dann durch das Zwerchfell, dann in den Bauch und schließlich ins Becken geht. Mein Vater nannte diese Körpertherapie Vegetotherapie, weil das vegetative nervöse System einbezogen war. Er hat dabei gesehen, daß sich diese Wellen entwickeln, wenn sich die Menschen von alten Traumata befreien, die diese Bewegungswellen zuvor blockiert hatten. Das ist aber bereits eine Endphase dieser Therapie, in der das Becken sozusagen nicht mehr tot ist, sondern der Mensch sich vereint fühlt vom Körper bis zu den Zehen.

Wilhelm Reich hat so entdeckt, daß die Neurose im Körper verankert ist und daß gewisse Zeichen der Neurose im Körper auftauchen, zum Beispiel verhärtete willkürliche Muskeln, angespannte glatte Muskeln in verschiedenen Systemen des Körpers oder eine verflachte, gehemmte Atmung, die nicht ganz durchgeht. Er hat allmählich gelernt, wie man diese Blockaden, die im Körper auftauchen, befreien kann. Die Bewegung, die er dabei beobachtet hat, ist eine Art Urbewegung des Lebens. Sie erscheint nicht nur beim Orgasmus, sondern sie erscheint beim Fötus im Mutterleib oder beim Sterben. Diese Bewegung ist eine rhythmisch sich wiederholende Kurve nach vorne des gesamten Körpers, so daß sich das Becken und die Schultern annähern.

Mein Vater hat sehr viel über diese Bewegung nachgedacht, und in einem Artikel in der dritten Ausgabe seines Buches Charakteranalyse hat er die Theorie aufgestellt, daß der Mensch dann, wenn diese Welle durchgeht, die er Orgasmusreflex nannte, obwohl es ein Artenreflex ist, daß der Mensch dann als Ganzes pulsiert, reagiert, als ob er ein einzelliges Tierchen wäre oder eine Qualle. Das heißt, wir haben es hier mit Urbewegungen des Lebens zu tun. Heutzutage wird die Therapie, die diese Bewegungen hervorrufen soll, Orgontherapie genannt.

Sie haben im Zusammenhang mit der Arbeit Ihres Vaters etliche Begriffe genannt: Charakteranalyse - Vegetotherapie

-Orgontherapie. Wie hängen diese Begriffe denn zeitlich und inhaltlich zusammen?

Okay, Wilhelm Reich war ein sehr wandlungsfähiger Mensch, er lernte gut, auch aus seinen eigenen Fehlern. Ich würde sagen, angefangen hat er wirklich als klassischer Psychoanalytiker. Als junger Mann war er in einem technischen Seminar in Wien beschäftigt, wo er gesehen hat, die Menschen werden einfach nicht besser, wenn sie wollen, sondern da ist ein Widerstand im Körper. Er hat eine Art der Psychoanalyse entwickelt, die er damals Charakteranalyse nannte. In ihr hat er mit Worten die Widerstände im Menschen im Sinne gewisser Benehmensarten herausgearbeitet, Widerstände wie Trotz oder Wut oder Sichzurückziehen oder Ganz-Vornehm-Sein, oder was immer der Charakter nach außen zeigt. Das war nämlich dann eine Verteidigung gegen die Welt, also eine Maske. Er hat herausgefunden, daß man mit der Therapie wie beim Zwiebelschälen arbeiten kann, von außen nach innen.

Später hat sich mein Vater dann mehr beschäftigt mit der Beobachtung von Menschen. Das war ein wichtiger Unterschied zu der Psychoanalyse, wie Freud sie verstand. Denn Freud saß separat in einem Sessel und sah die Leute nicht an. Er hat sie auch nicht angerührt. Reich hat sich getraut, die Menschen anzusehen und zu studieren mit seinen Augen während der Therapie, und dann auch zu fühlen, zum Beispiel die harten Muskeln. Das nannte er Charakteranalyse oder Resistenzanalyse. Denn die Resistenz führte direkt an das, was wirklich los war mit den Menschen. Dann hat er beobachtet, daß die vegetativen Regungen der Gefühle Symptome hervorbrachten, zum Beispiel Übelkeit, Schwindelgefühl, Gänsehaut, Gurgeln des Darmes, Zittern, manchmal Speien und Spucken und andere psychosomatische Symptome. Damit hat er sich immer mehr beschäftigt. Als er gelernt hatte, daß er direkt mit den fließenden Gefühlen im Körper arbeiten konnte, nannte er die Therapie Vegetotherapie. Das war eine der Grundideen, die er in den dreißiger Jahren entwickelte, nämlich, daß Gefühle fließende Lebensenergie im Körper sind. Gefühle sind also nicht nur Ideen im Kopf, über die man redet, sondern etwas, was im Körper vorgeht. Er hat in seiner skandinavischen Phase - das war ungefähr von 1934 bis 1939, da hat er vor allem in Oslo gelebt - diese Vegetotherapie zu einer wirklichen Kunst entwickelt, die er lehren konnte. Daß es nämlich gut sei für die Muskeln, diese Gefühle direkt auszudrücken, direkt abzureagieren, ohne nur darüber zu reden. Das war anders als die Psychoanalyse, die doch sehr mit intellektuellen Konzepten arbeitet.

Von der Vegetotherapie zur Orgontherapie ist es dann eigentlich nur eine Namensänderung. Denn das Konzept meines Vaters, daß etwas im Körper fließt, war auf die elektromagnetische Theorie begründet. Er studierte zum Beispiel in Norwegen die Oberflächenspannungen bei Angst und bei Lust oder bei unguten Gefühlen und er entdeckte, daß bei Lust die Pontentiale in der Haut anstiegen, während sie bei negativen Stimuli, zum Beispiel Salz auf der Zunge, absanken. Er verband das dann mit Ideen über Protozoen, Amöben etwa, die sich hinausstrecken zur Welt, wenn sie sich sicher fühlen, aber die sich wie Zysten in einen Ball zurückrollen, wenn ein negativer Stimulus kommt. Es gibt also zwei Urbewegungen der vegetativen Energie im Körper. Die eine ist zur Welt hin, besonders bei sexueller Lust und auch bei Wut. Es gibt nämlich auch Leute, die sich ausstrecken vor Wut, indem sie wütend und rot werden. Und dann gibt es das Zurückziehen aus der Welt bei Schmerzen und Angst. Mein Vater nannte das den Urgegensatz des vegetativen Lebens. Wir arbeiten mit dieser Idee immer noch in der Bioenergetik oder in der Orgontherapie. Ich arbeitete mit Fließenlassen und auch Glühen, also daß das Feld des Menschen, die sogenannte Aura, sich ausstreckt. Mein Vater nannte diese ganze therapeutische Arbeit mit dem Körper Orgontherapie, als er entdeckte, daß eine wirkliche Lebensenergie sowohl im Körper als auch in der Atmosphäre existiert. Das war in den vierziger Jahren in Amerika, wohin er aus Skandinavien vor den Nazis geflohen war. Wann diese Namensänderung stattfand, weiß ich nicht genau. Aber eigentlich ist die Therapie in der Vegetotherapie und in der Orgontherapie die gleiche. Nur, daß er eben entdeckte, daß es diese spezifische Lebenskraft gibt, die er Orgon nannte.

Haben Sie selbst an Experimenten Ihres Vaters teilgenommen, oder haben Sie selbst Experimente durchgeführt?

Ich bin kein experimenteller Wissenschaftler, aber ich habe sehr viele Beobachtungen gemacht, besonders in der Medizin. Ich war der Assistent meines Vaters, ungefähr von 1950 bis 1957, sein Lehrling mehr als sein Schüler, obwohl ich gleichzeitig Arzt war. Ich habe von August 1950 an in seinem Labor mitgemacht. Das war eine sehr wichtige Zeit, da ist mein Vater aus New York City nach Rangeley/Maine übergesiedelt. Dort hat er dann ein Laboratorium und ein Observatorium gebaut. Ich bin auch da hingezogen und da hatte ich dann Zeit, viele seiner Experimente für mich selbst zu wiederholen. Das hat mein Wissen stark erweitert, besonders im Bereich seiner Bion-Forschung, seiner Bluttests und seiner Arbeit zu Krebs.

Im Januar 1951 machte mein Vater dann ein Experiment, in dem er ein wenig Radium mit starken Konzentrationen von Lebensenergie zusammenbrachte. Das war ein Experiment mit schlimmen Folgen. Es hieß das Oranur-Experiment. Das hat uns alle in unserer Gesundheit stark beeinflußt; also ich starb fast daran. Ich habe dann seine Beobachtungen über dieses Oranur-Experiment miterlebt. Es war eine Art Aufbrausen der Lebensenergie und dann eine Erschöpfung. Das war ziemlich beängstigend.

Im Herbst 1954 habe ich noch einmal für ein halbes Jahr mitgemacht. Da hat er mich eingeladen, mit ihm auf eine Expedition nach Arizona zu gehen, wo er diesen „cloudbuster“ benutzt hat. Die Entwicklung dieses cloudbusters habe ich erlebt, vom Mai 1952 an. Mein Mann William Moise wurde sein Assistent bei dieser Arbeit. Wilhelm Reich hat dieses Gerät erfunden, weil die Atmosphäre so schwarz und so drückend wurde. Dieser cloudbuster hat die Lebensenergie in der Atmosphäre bewegt und so aufgefrischt. Wenn man ihn zu lange einsetzte, hat es auch geregnet. Beide Experimente habe ich miterlebt, und besonders Oranur sitzt mir immer noch in den Knochen. Das hat mein Leben stark beeinflußt, weil ich sehr allergisch gegen alle Arten von Strahlen wurde. Ich konnte nicht mehr in Hospitälern arbeiten, weil ich in der Nähe von Röntgenstrahlen ganz krank wurde. Ich konnte Fernsehbildschirme, Neonlichter usw. nicht mehr ertragen. Ich mußte mich also sozusagen auf ein Dorf zurückziehen, wo man nicht in Hospitälern arbeiten mußte. Und dort lebe ich heute noch. Das war ein Grund, warum ich ein Landarzt wurde. Das hat mich sozusagen herausexplodiert aus meinem normalen Leben. Ich glaube, ich habe das wirklich erlebt mit den Strahlungskrankheiten und bin jetzt eigentlich ein energetischerer Mensch als die anderen um mich herum, das heißt auch immunisiert gegen einige dieser Strahleneinflüsse.

Im Zusammenhang mit dem Oranur-Experiment, der Verbindung von Lebensenergie und Radioaktivität, soll ein Stoff entstanden sein, den Reich selbst „deadly orgon“, tödliches Orgon, genannt hat. Ist Ihr Vater nach diesem Experiment ein Gegner der Kernkraft geworden?

Absolut. Er hat auch beschrieben, was in der Atmosphäre los ist, auf Mikrofilmen. Einige dieser Filme hat die Universität Bremen, andere die Universität München. Da kann man die Originalberichte im 'Orgon Energy Bulletin‘ nachlesen, auch Berichte über das Oranur-Experiment. Das war alles sehr merkwürdig damals. Was mein Vater beschrieben hat, war dieses Absterben der Lebensenergie in der Atmosphäre, das Schwarzwerden der Wolken, das Müdewerden der Menschen, das Verlieren der Lebenskraft und der Immunisierungsfähigkeit bei den Menschen; jeder wurde sozusagen in seinem schwachen Punkt getroffen. Er hat entdeckt, daß alle diese Phänomene eben eine Reaktion der Lebensenergie auf konzentrierte Quantitäten atomarer Substanzen sind. Und er hat nur mit winzigen Mengen Radioaktivität gearbeitet, und all das, was ich erzählt habe, ist geschehen. Aber die radioaktive Substanz hat sich dabei auch verändert. Das Radium hat nicht mehr ein geladenes Elektroskop entladen, was nämlich hätte sein sollen. Das habe ich selbst gesehen, das hat für mich die ganze Physik umgeworfen. Die Nebeneffekte des Oranur -Experiments waren ganz arg, unsere Untersuchungsmäuse sind gestorben oder haben Tumore entwickelt. Diese Zeit war sehr beängstigend. Aber, wie gesagt, es hat auch bewirkt, daß das Radium seine Wirkung verloren hat. Es gibt also Möglichkeiten des Immunisierens der Welt, wenn man genügend Lebenskraft ansammelt in radioaktiven Stoffen, so daß kleine Mengen davon sich ändern, daß sie nicht mehr radioaktiv zerfallen.

Nach diesem Experiment wurde Wilhelm Reich dann 1954 von der Food and Drug Administration angegriffen, das ist eine Agentur der US-Regierung (Lebensmittelkontrollbehörde der US -Regierung), man hat ihn verfolgt. Diese Verfolgung habe ich selbst auch miterlebt. Im November 1957 ist mein Vater dann im Gefängnis gestorben. Denn man hatte ihn angeklagt, daß er ein Krimineller sei, was überhaupt nicht wahr war. Er hat mit seinen Experimenten nicht nur nichts verdient, er hat sein ganzes Geld in seine Entdeckungen hineingesteckt; er hat sie selbst finanziert. Das Ganze war ein offensichtlicher Skandal. Deswegen sollten die Amerikaner einmal eine Kongreßanhörung haben über die Verfolgung der Entdeckung der Lebensenergie. Denn ich sah das so: Als sie Wilhelm Reich ins Gefängnis steckten, haben sie den Weg des Todes gewählt. Das ist doch ganz klar, daß Militarismus, daß Waffen den Tod der Welt bedeuten. In den USA gab es wirklich eine Verschwörung gegen die Lebensenergie - hinter den Kulissen. Das muß aufgedeckt werden; die Amerikaner werden nicht geheilt sein, bis sie ihr eigenes System nicht gesäubert haben.

Sie haben gesagt, Ihr Vater sei einer Verschwörung zum Opfer gefallen...

Er nannte es „conspiracy“...

Er hat auch ein Buch oder eine Broschüre geschrieben mit diesem Titel „Conspiracy“, Verschwörung. Sie haben in diesem Zusammenhang die American Food and Drug Administration genannt, eine Lebensmittelbehörde. Warum gerade diese Behörde?

Das geschah alles hinter den Kulissen, aber wir haben alle Dokumente, die wir kriegen konnten, gesammelt. Solche Verfolgungen gibt es übrigens immer noch. Wenn jemand zum Beispiel Krebs mit Naturmethoden heilen will, mit lebendiger Nahrung etwa, kann er nicht in die USA, er muß nach Mexiko gehen, um das zu machen. Wenn man das mit meinem Vater historisch sieht, dann war es ein Kampf zwischen Mechanismus und Vitalismus, zwischen zwei Wegen, die Welt zu sehen. Die Food and Drug Administration hat sich zum Beispiel mit der American Psychiatric Association verbunden. Die beiden Organisationen wollten meinen Vater nicht nur für kriminell erklären, sondern auch für verrückt. Aber das Gericht hat ihn nicht für verrückt erklärt. Ich glaube, er wurde einfach verleumdet.

Sie sind hier in der Bundesrepublik unter anderem, weil Sie von den Grünen eingeladen wurden, über Gewalt gegen Kinder zu sprechen. Ist das Teil Ihrer Arbeit?

Ja, das ist wirklich der Mord an Christus. Denn die meisten Menschen, die sich gezwungen fühlen, in der Familie ihre Wut an Kindern auszulassen, sind Menschen, die das selbst erlitten haben und die das irgendwie in sich aufgenommen haben. Das nennen wir Einschreibung. Man kann diese Kette unterbrechen, wenn man sich entscheidet, ich werde mein Kind anders behandeln, wie einen Menschen, der soviel Wut nicht verdient. Außerdem kann ich Hilfe holen, wenn ich ungeduldig werde, wenn mir alles zuviel wird. Denn das Kind ist noch nicht gepanzert im Sinne von Reichs Konzept der Körperpanzerung, daß man sich wehrt gegen Leiden und Gefühle mit Hartwerden. Im Erwachsenen bringt das ungepanzerte Kind eine Art Ungeduld und eine Erinnerung an das Leiden hervor, durch das man selbst zerquetscht wurde. Das ist eine Kette, die in der Geschichte der Kindheit weit zurückgeht. Denn seit der Zeit des hellenischen Altertums durften Väter ihre Kinder legal prügeln, bis zum Tode sogar.

Ein Denker, der mich sehr beeinfluß hat, der amerikanische Psychohistoriker Lloyd de Mause, hat einmal gesagt, wir haben noch nicht aufgehört, grausam zu Kindern zu sein. Das Aufhören fängt erst an. Die neue Richtung ist etwas, das Reich vorgeschlagen hat. Er nannte es „Selbststeuerungserziehung“. Denn bisher existiert zwischen Kindern und Erwachsenen seit Jahrhunderten eine Art Krieg. Die Kinder haben noch keine Stimme, weder in den Regierungen noch in der Familie. Deswegen bin ich für die Ideen von Reich und Paul Ritter, daß es in der Familie eine Demokratie geben könnte, wo das Kind auch eine Stimme hat, um zu sagen, was es denkt, was es braucht, wie man Dinge besser machen könnte. Wenn man sie ließe, könnten das Kinder schon ab dem Alter von drei Jahren tun. Aber solche demokratischen Teamfamilien gibt es noch nicht viele auf der Welt, sondern der Faschismus hält sich hier im Gegenteil besonders gut besonders auf dem Land. Dort gibt es noch sehr viele autokratische Familienzustände. Auf der anderen Seite schlägt das dann um in eine alternative Welt, wo man Heirat zum Beispiel überhaupt nicht mehr benutzt, um die Dinge zu stabilisieren, wo sehr viele alleinerziehende Eltern sind. Das macht das Aufwachsen für die Kinder sehr schwierig, weil es für einen einzelnen Menschen zuviel ist, sie zu erziehen. Wir haben die Großfamilie verloren, die ja auch sehr pathogen war, aber auch die Unterstützung, die man bei der Großfamilie haben konnte, wenn man ein Kind hatte. Das Zeitalter hat noch nicht angefangen, in dem das Kind ein wichtiger Mensch ist für die Menschheit, nicht wichtiger als Erwachsene, aber auch wichtig.

Das, was Sie praktisch machen, entspricht also Alice Millers Theorie in ihrem Buch „Im Anfang war Erziehung“?

Ja, aber sie ist mir zu elitär, zu professionell. Ich arbeite mit ganz gewöhnlichen Menschen, vom Dorf oder sonstwoher. Man muß kein Experte sein, jede Mutter ist der Experte, wenn man ihren Mutterinstinkt nicht mit einer argen Geburtshilfe zerstört oder mit dem Wegnehmen der Babies, wie es die Ostwelt tut. Dann hat sie das Gefühl, die Natur gibt ihr die Verbindung zu ihrem Kind, damit sie versteht, was es braucht. Zur Zeit findet auf diesem Gebiet ein Umschwung statt. Also ich sehe ein neues Zeitalter um die Ecke, das hoffentlich bald kommt, bevor wir uns als Menschheit umbringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen